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»Mir sind«, sagte Ludwig, »alle
solche Figuren, die dem Menschen nicht sowohl nachgebildet sind, als das
Menschliche nachäffen, diese wahren Standbilder eines lebendigen Todes
oder eines toten Lebens, im höchsten Grade zuwider. Schon in früher
Jugend lief ich weinend davon, als man mich in ein Wachsfigurenkabinett
führte, und noch kann ich kein solches Kabinett betreten, ohne von
einem unheimlichen grauenhaften Gefühl ergriffen zu werden. Mit Macbeths
Worten möchte ich rufen ›Was starrst du mich
an mit Augen ohne Sehkraft?‹ wenn ich die stieren, toten, gläsernen
Blicke all der Potentaten, berühmten Helden und Mörder und Spitzbuben
auf mich gerichtet sehe, und ich bin überzeugt, daß die mehrsten
Menschen dies unheimliche Gefühl, wenn auch nicht in dem hohen Grade,
wie es in mir waltet, mit mir teilen, denn man wird finden, daß im
Wachsfigurenkabinett auch die größte Menge Menschen nur ganz
leise flüstert, man hört selten ein lautes Wort; aus Ehrfurcht
gegen die hohen Häupter geschieht dies nicht, sondern es ist nur der
Druck des Unheimlichen, Grauenhaften, der den Zuschauern jenes Pianissimo
abnötigt. Vollends sind mir die durch die Mechanik nachgeahmten menschlichen
Bewegungen toter Figuren sehr fatal, und ich bin überzeugt, daß
euer wunderbarer geistreicher Türke mit seinem Augenverdrehen, Kopfwenden
und Armerheben mich wie ein negromantisches Ungetüm vorzüglich
in schlaflosen Nächten verfolgen würde.
Ich mag deshalb nicht hingehen und will mir lieber alles Witzige und Scharfsinnige,
was er diesem oder jenem gesagt, erzählen lassen.« »Du
weißt,« nahm Ferdinand das Wort, »daß alles, was
du von dem tollen Nachäffen des Menschlichen, von den lebendigtoten
Wachsfiguren gesagt hast, mir recht aus der Seele gesprochen ist. Allein
bei den mechanischen Automaten kommt es wirklich sehr auf die Art und Weise
an, wie der Künstler das Werk ergriffen hat. Einer der vollkommensten
Automate, die ich je sah, ist der Enslersche Voltigeur, allein so wie seine
kraftvollen Bewegungen wahrhaft imponierten, ebenso hatte sein plötzliches
Sitzenbleiben auf dem Seil, sein freundliches Nicken mit dem Kopfe etwas
höchst Skurriles. Gewiß hat niemanden jenes grauenhafte Gefühl
ergriffen, das solche Figuren, vorzüglich bei sehr reizbaren Personen,
nur zu leicht hervorbringen. Was nun unsern Türken betrifft, so hat
es meines Bedünkens mit ihm eine andere Bewandtnis. Seine, nach der
Beschreibung
aller, die ihn sahen, höchst ansehnliche, ehrwürdige Figur ist
etwas ganz Untergeordnetes, und sein Augenverdrehen und Kopfwenden gewiß
nur da, um unsere Aufmerksamkeit ganz auf ihn, wo gerade der Schlüssel
des Geheimnisses nicht zu finden ist, hinzulenken. Daß der Hauch
aus dem Munde des Türken strömt, ist möglich oder vielleicht
gewiß, da die Erfahrung es beweist; hieraus folgt aber noch nicht,
daß jener Hauch wirklich von den gesprochenen Worten erregt wird.
Es ist gar kein Zweifel, daß ein menschliches Wesen vermöge
uns verborgener und unbekannter akustischer und optischer Vorrichtungen
mit dem Fragenden in solcher Verbindung steht, daß es ihn sieht,
ihn hört und ihm wieder Antworten zuflüstern kann. Daß
noch niemand, selbst unter unsern geschickten Mechanikern, auch nur im
mindesten auf die Spur gekommen, wie jene Verbindung wohl hergestellt sein
kann, zeigt, daß des Künstlers Mittel sehr sinnreich erfunden
sein müssen, und so verdient von dieser Seite sein Kunstwerk
allerdings die größte Aufmerksamkeit. Was mir aber viel wunderbarer
scheint und mich in der Tat recht anzieht, das ist die geistige Macht des
unbekannten menschlichen Wesens, vermöge dessen es in die Tiefe des
Gemüts des Fragenden zu dringen scheint es herrscht oft eine Kraft
des Scharfsinns und zugleich ein grausenhaftes Helldunkel in den Antworten,
wodurch sie zu Orakelsprüchen im strengsten Sinn des Worts werden.
Ich habe von mehrern Freunden in dieser Hinsicht Dinge gehört, die
mich in das größte Erstaunen setzten, und ich kann nicht länger
dem Drange widerstehen, den wundervollen Sehergeist des Unbekannten selbst
auf die Probe zu stellen, weshalb ich mich entschlossen, morgen vormittags
hinzugehen, und dich hiermit, lieber Ludwig, feierlichst eingeladen
haben will, alle Scheu vor lebendigen Puppen abzulegen und mich zu
begleiten.«
Anmerkungen:
›Was
starrst du mich an mit Augen ohne Sehkraft?‹ |
Shakespeare,
Macbeth, 3. Akt, 4. Szene. |
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