Selbstporträt |
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E.T.A. Hoffmann: Die
Automate
Der redende Türke
machte allgemeines Aufsehen, ja er brachte die ganze Stadt in Bewegung,
denn jung und alt, vornehm und gering strömte vom Morgen bis in die
Nacht hinzu, um die Orakelsprüche zu vernehmen, die von den starren
Lippen der wunderlichen lebendigtoten Figur den Neugierigen zugeflüstert
wurden. Wirklich war auch die ganze Einrichtung des Automats von der Art,
daß jeder das Kunstwerk von allen ähnlichen Tändeleien,
wie sie wohl öfters auf Messen und Jahrmärkten gezeigt werden,
gar sehr unterscheiden und sich davon angezogen fühlen mußte.
In der Mitte eines nicht eben großen, nur mit dem notwendigsten Gerät
versehenen Zimmers saß die lebensgroße, wohlgestaltete Figur
in reicher geschmackvoller türkischer Kleidung auf einem niedrigen,
wie ein Dreifuß geformten Sessel, den der Künstler auf Verlangen
wegrückte, um jede Vermutung der Verbindung mit dem Fußboden
zu widerlegen, die linke Hand zwanglos auf das Knie, die rechte dagegen
auf einen kleinen freistehenden Tisch gelegt. Die ganze Figur war, wie
gesagt, in richtigen Verhältnissen wohlgestaltet, allein vorzüglich
war der Kopf gelungen; eine wahrhaft orientalisch geistreiche Physiognomie
gab
dem Ganzen ein Leben, wie man es selten bei Wachsbildern, wenn sie selbst
den charaktervollen Gesichtern geistreicher Menschen nachgeformt sind,
findet. Ein leichtes Geländer umschloß das Kunstwerk und wehrte
den Anwesenden das nahe Hinzutreten, denn nur der, welcher sich von der
Struktur des Ganzen, soweit es der Künstler sehen lassen konnte, ohne
sein Geheimnis zu verraten, überzeugen wollte, oder der eben Fragende
durfte in das Innere und dicht an die Figur treten. Hatte man, wie es gewöhnlich
war, dem Türken die Frage ins rechte Ohr geflüstert, so drehte
er erst die Augen, dann aber den ganzen Kopf nach dem Fragenden hin, und
man glaubte an dem Hauch zu fühlen, der aus dem Munde strömte,
daß die leise Antwort wirklich aus dem Innern der Figur kam. Jedesmal
wenn einige Antworten gegeben worden, setzte der Künstler einen Schlüssel
in die linke Seite der Figur ein und zog mit vielem Geräusch ein Uhrwerk
auf. Hier öffnete er auch auf Verlangen eine Klappe, und man erblickte
im Innern der Figur ein künstliches Getriebe von vielen Rädern,
die nun wohl auf das Sprechen des Automaten durchaus keinen Einfluß
hatten, indessen doch augenscheinlich so viel Platz einnahmen, daß
sich in dem übrigen Teil der Figur unmöglich ein Mensch, war
er auch kleiner, als der berühmte Zwerg Augusts, der aus der Pastete
kroch, verbergen konnte. Nächst der Bewegung des Kopfs, die jedesmal
vor der Antwort geschah, pflegte der Türke auch zuweilen den rechten
Arm zu erheben und entweder mit dem Finger zu drohen oder mit der ganzen
Hand gleichsam die Frage abzuweisen. Geschah dieses, so konnte nur das
wiederholte Andringen des Fragers eine mehrenteils zweideutige oder verdrießliche
Antwort bewirken, und eben auf diese Bewegungen des Kopfs und Armes mochte
sich wohl jenes Räderwerk beziehen, unerachtet auch hier die Rückwirkung
eines denkenden Wesens unerläßlich schien. Man erschöpfte
sich in Vermutungen über das Medium der wunderbaren Mitteilung, man
untersuchte Wände, Nebenzimmer, Gerät, alles vergebens.
So beginnt E.T.A.Hoffmanns Erzählung
"Die Automate". Der Leser lernt hierauf eine Gruppe von Freunden kennen.
Ludwig und Ferdinant, die beide die Figur noch nicht gesehen haben, unterhalten
sich über Sinn und Unsinn einer solchen Erfindung
Anmerkungen
"Die
Automate" |
Hoffmann versteht unter "die Automate" den
Plural |
"Der redende Türke"
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Die Figur desSchachspielers des
Baron von Kempelen war tatsächlich wie ein Türke gekleidet.
Aus dieser Tatsache ist wohl auch der Ausdruck "türken" und "getürkt"
hervorgegangen, da der Schachspielautomat später als eine Fälschung
entlarvt wurde. |
"Physiognomie" |
Die Verbindung zwischen äußerer
Erscheinung und innerer Werten eines Menschen, auf die Hoffmann hier Bezug
nimmt, hat ihn selbst auch beschäftigt. Beispiel hierfür ist
seine ausgiebige Tätigkeit als Karrikaturist. Ein berühmtes Beispiel
einer "Selbstkarrikatur" finden Sie hier. |
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