Rudi Grafberger

 

Rudolf Grafberger:

Die Predigt eines Saales

Meditation zum "C" in der Kommunalpolitik

Der Rokokosaal des Brückenrathauses

Mit seiner Ikonographie hat Johann Anwander Mitte des 18. Jahrhunderts den wohl funktionstüchtigsten Ratssaal geschaffen.

Acht Fenster lassen die in jedem Parlament üblichen Fensterreden in die Stadt tönen.
Die Regnitz umfließt das Haus und erledigt unpassende Anträge im Fluß.
Die Geschichte schaut zum Fenster herein (das geistliche Bamberg und das weltliche - und mitten drin die Stadtheilige im Schutz des Rathauses).
Vier Herrscherbüsten in den Ecken des Saales sollen an den geschichtlichen Auftrag dieser Stadt erinnern.
Zwei Bilder zeugen vom Ende der Herrlichkeit Bambergs: das Potrait des Christoh Franz von Buseck, des letzten Fürstbischofs, und das des Kurfürsten Maximilian von Bayern. Er läßt 1802 seine Truppen in Bamberg einmarschieren.
Gerhard Krischker: Von wegen Nabel der Welt - heute sind wir weiter unten und auf der anderen Seite des Körpers zu finden.

Caput oder Provinz,
Arsch oder Nabel,
Oberzentrum oder Idylle,
Stadt oder Dorf -
dies alles dürfen nicht Alternativen in unserem kommunalpolitischen Denken sein. Wenn Bamberg seinen historischen Auftrag nicht vergessen will, sind Zentralität und Urbanität, Kultur und Leben unsere Aufgaben - und nicht Bamberg als Museum und Biotop in einem Dornröschenschlaf!

Die Predigt des Saales

Vier große Wandbilder zeigen das Herausforderungsprofil an die Ratsherren.
Vier Stuckreliefs erinnern an die Verantwortung für die Schöpfung und
zwei kleinere Bilder an der Rückwand fordern die heraus, die glauben, aus der Bibel eine politische Ideologie ableiten zu können.


Die 4 Kardinaltugenden

Der Politiker als Tugendbold

Anleitungen zum menschlichen Richtigsein


Sophia, die weibliche Ausprägung Gottes im AT, lehrt:
"Denn die Weisheit lehrt Maß und Klugheit / Gerechtigkeit und Tapferkeit / die Tugenden, die im Leben der Menschen nützlicher sind als alles andere."
(Buch der Weisheit 8,7)

In Zeiten,
- in denen Selbstverwirklichung als höchstes Lebensziel gepriesen wird,
- in denen tragfähige traditionelle Ordnungsvorstellungen abgewertet werden,
- in denen persönliche und gesellschaftliche Lebensorientierungen verloren gegangen sind,
in Zeiten solch postmoderner Beliebigkeit und Unordnung von Tugenden zu sprechen, macht eigentlich jeden Politiker lächerlich.
Im Gegenteil will aber auch keiner dumm - ungerecht - feige - maßlos sein.
Aber Tugenden entwickeln in Zeiten, wo es vor allem um das Einklagen von Rechten geht?!

Ich will heute von Tugenden sprechen:

Tugend

Meist geht bei diesem Wort schon die Sicherung durch. Aber was besagt dieser Begriff:

- ultimum potentiae (Thomas von Aquin)
- das Äußerste dessen, was einer sein kann
- eine Haltung, die von jedem einzelnen und von ihm allein abverlangt wird und zu realisieren ist.


Kardinaltugenden

- Haltungen, die das Leben fundamental tragen,
- Haltungen, die dem Leben Richtung geben sollen,
- Aufruf zur Realisierung des Entwurfs, wie der Mensch sein soll,
- Anleitungen zum menschlichen Richtigsein.


Die 4 großen Bilder von Johann Anwander sollen diese vier Kardinaltugenden symbolisieren. Es werden Episoden aus dem Alten Testament erzählt und meist stehen Frauen im Mittelpunkt:

1. Prudentia - die Klugheit

Das Urteil des Salomo (1. Buch der Könige 3,16-28)

Zwei Dirnen streiten. Die eine hat ihr Kind im Schlaf erdrückt und das der anderen genommen. Jede behauptet, das lebende gehöre ihr. Salomo befiehlt, das vor ihm liegende Kind in zwei Teile zu hauen. Da offenbart sich die wirkliche Mutter: "Bitte, Herr, gebt ihr das Kind und tötet es nicht." Sie bekam das Kind und in der Bibel steht: "Ganz Israel erkannte, daß die Weisheit Gottes in ihm war, wenn er Recht sprach."

Niemand vermag eine gerechte Entscheidung zu treffen, der nicht weiß, wie die Dinge sind.
Klugheit heißt, die Wirklichkeit aufspüren, sehen was wirklich ist.


2. Justitia - die Gerechtigkeit

Gerechtigkeit als unerbittliche Pflicht (Josua 10,1-27)

Fünf Könige der Amoriter stören den beschlossenen Frieden. Josua vollzieht das Strafgericht und läßt die Friedensbrecher erschlagen. Er übt dadurch harte aber gottgewollte Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit = Jedem das Seine (suum cuique)
Gerechtigkeit ist eine unerbittliche Pflicht.

3. Fortitudo - die Tapferkeit

Tapfer tritt der junge Daniel den Ältesten entgegen (Daniel 13,1-64)

Die zwei Ältesten des Volkes wollten die schöne Susanna vergewaltigen. Auf ihre Hilfeschreie hin beschuldigen die beiden Susanna des Ehebruchs mit einem Jüngling. Sie wird daraufhin zum Tode verurteilt. Daniel fährt dazwischen. Durch ein geschicktes Verhör beweist er die Unschuld von Susanna.
Das Bild preist den Mut des jungen Daniel, der sich gegen die Ältesten des Volkes stellt und damit sein eigenes Leben riskiert.

Tapferkeit heißt, sich einsetzen, auch wenn es zum Nachteil geraten könnte

4. Temperantia - die Besonnenheit, das rechte Maß

Die Juden in Babylon (Buch Ester)

Die Jüdin Ester war von Artaxerxes zur Königin erhoben worden. Haman, der zweite Mann im Reich, befiehlt, die Juden auszurotten. Schon ist der Tag festgesetzt. Ester erzwingt sich ein Gespräch beim König und bittet um ihr Volk. Bei dessen Aufbrausen sinkt sie in Ohnmacht und erweicht so das Herz des Königs. Er schenkt ihr und den Juden das Leben.

Das Bild will raten, Leidenschaften und Affekte besonnen zu mäßigen.

Die Kardinaltugenden

Klugheit

- Sehen, was ist.
- Aufspüren, wie die Dinge wirklich sind.
- Was klug ist, bestimmt die Sache selbst.
- Sachgerechtigkeit nicht Ideologie oder Gesinnung ist Fundament des Ethischen.
- gründliche Analyse der Situation und der Handlungsspielräume

Kurt Schumacher: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.

Gerechtigkeit

- Suum cuique
- Jedem das Seine.
- Jedem das geben, was ihm zusteht
- jedem zu seinen Recht verhelfen.

Gerechtigkeit ist die Kunst des Miteinanders, weil jedem das zuteil wird, was ihm zusteht: der gerechte Lohn, die Sozialhilfe. Gerechtigkeit fordert aber auch, den Ausbeuter auszusperren.

Tapferkeit

- Mut, nicht Tollkühnheit oder blindes Risiko (Bei Rot über die Kreuzung ist nicht tapfer sondern blöd!)
- Bereitschaft, sich für die gerechte Sache auch dann einzusetzen, wenn es zum Nachteil geraten kann
- Bereitschaft für die Verwirklichung der Gerechtigkeit auch Verwundungen hinzunehmen.
- Standhalten, Widerstand leisten:
dem Zeitgeist, der öffentlichen Meinung, ideologischen Spinnereien, kämpferischen Gruppen.
- Auftrag, die Bürger mit ihren Ängsten nicht den Demagogen zu überlassen.

Augustinus: "Mit der Welt im Ganzen stimmt etwas nicht, und deswegen ist Tapferkeit nötig."


Besonnenheit - das rechte Maß

- das rechte Maß bewahren (Dürfen wir, was wir können?)
- die Sache in der Mitte halten
- Gleichgewichtslagen schaffen
- den Kompromiß suchen
- Haltung, in der man seine Leidenschaften und Affekte durch Vernunft in Maß hält
- Kräfte zügeln, die zur Selbstblockade führen können.
- fordert den langen Atem, das Aussitzen-Können, das dicke Fell.
- bewahrt auch vor einer Überspitzung
der Klugheit in Besserwisserei,
der Gerechtigkeit in Selbstgerechtigkeit
und der Tapferkeit in Tollkühnheit.

Besonnenheit führt zur Heiterkeit des Herzens und bewirkt die Kraft des positiven Denkens.


Zusammengefaßt noch mal das Profil das dieser Saal einem Kommunalpolitiker vermitteln will:

- Sehen, was ist.
- Jedem das Seine.
- Standhalten.
- Kompromisbereitschaft.


Die 4 Elemente

In den 4 Ecken der Stuckdecke hat Franz Jakob Vogel je ein Putto als Allegorie der vier Elemente aus der Naturphilosophie der Antike aufgetragen. Sie sollen die Ratsherren an ihren Auftrag erinnern, zur Bewahrung der Schöpfung ihren Beitrag zu leisten.

Wasser
Wie gehen wir um mit diesem lebensspendenden Element, damit nicht Flüsse und Meere zur Kloake verkommen?

Erde
Wie gehen wir um mit dieser dünnen Kruste, die uns alle ernährt?

Luft
Was tun wir gegen die Vergiftung der Luft, damit Menschen und Bauwerke nicht Schaden leiden? (Ruß- und Benzolwerte - Bergverbindung)

Feuer
Wie bändigen wir das Feuer der Atome?
Wie schaffen wir umweltschonend die nötige Energie?

 

Die zwei Bilder an der Rückwand

Die Satire mit der Steuerfrage (Mt 22,15-22)

"Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen...Meister, ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen? ... Zeigt mir die Münze mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!"

Wohl keine Aussage Jesu wurde so falsch gedeutet, wie diee berühmte Episode mit dem Denar. Sie wurde über Jahrhunderte hinweg als ein Aufruf zur Vermählung von Thron und Altar interpretiert.

So formuliert Martin Luther in seiner Streitschrift "Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern": "Christus wirft uns mit Leib und Gut unter den Kaiser und weltlich Recht, da er spricht: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist."

Kaum ein Satz war folgenreicher. Ein Gottesgnadentum des Kaisers wurde aus diesem Satz hervorgelesen und ein Omnipotenzanspruch des Staates daraus abgeleitet. Ein Stück Münze hat ein Stück Evangelium in sein Gegenteil verkehrt.

Allein schon aus dem Vorspann wird klar, daß ein Gottesgnadentum politischer Herrschaft nie in der Absicht Jesu lag. Betrachten wir die Situation:
Wir sind im Frühjahr des Jahres 30 mitten im Herzen des jüdischen Jerusalems. Jesus hatte gerade den Tempel gereinigt Auf beiden Seiten des Vorhofes stehen die Tempelpolizei, ihre Spitzel und Aufpasser sowie die römischen Legionäre. Jesus ist umringt von Hunderten seiner Freunde. Mitten hinein die provozierende Frage: Rabbi, ist es erlaubt dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?
Sagt er Ja, ist er für sein Volk als feiger Kollaborateur entlarvt.
Sagt er Nein so gilt er für die Römer als Rebell, der zum Gesetzesbruch aufwiegelt. Mit der Schlagfertigkeit Jesu hat keiner gerechnet. Er läßt sich von den Fragern eine Münze mit dem verhaßten Kaiserbildnis zeigen. Es zeigte auf der einen Seite das Brustbild des Kaisers Tiberius in olympischer Nacktheit, auf der anderen Seite stand gotteslästerlich: "Tiberius, Caesar, des göttlichen Augustus Sohn "(Zwei solcher Münzen haben wir im Hist. Museum als Nr. 12 und 13)


"Gebt doch dem Kaiser zurück, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist."
Jesu Antwort ist für die Juden klar, heißt es doch im 2. Gebot: "Du sollst dir kein Bildnis machen - weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was auf Erden ist."
Die Aussage Jesu war kein Dozieren
- über eine faire Halbierung der menschlichen Ehrerbietung,
- über die Gleichgewichtigkeit des Gehorsams gegenüber Gott und dem Kaiser
- oder gar eine gottgewollte Ratifikation des Bündnisses zwischen Thron und Altar.
Im Gegenteil: Es war eine provozierende Herausforderung auf eine provokante heuchlerische Frage:
Die Münze schuldet ihr dem dargestellten Kaiser, der sie prägen ließ.
Euch selbst aber - die ihr Ebenbilder Gottes seid - schuldet ihr allein eurem Schöpfer.
Die Aussage Jesu ist um Lichtjahre entfernt von der angeblichen Zweireichelehre eines Papstes Gelasius oder eines Martin Luther.
Jesus ist für keine politische Doktrin zu mißbrauchen.


Jesu Gespräch mit Nikodemus (Joh 3,1-13)

"Es war ein Pharisäer namens Nikodemus, ein führender Mann unter den Juden. Der suchte Jesus bei Nacht auf und sagte zu ihm: Rabbi, wir wissen, du bist ein Lehrer, der von Gott gekommen ist... Jesus antwortete ihm: ..Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen..."

Bei diesem Gespräch mit dem Ratsherrn Nikodemus, einem führenden Politiker unter den Juden, ging es also nicht um ein politisches Programm oder um das politische Konzept einer Befreiungstheologie oder um einen christlichen Sozialismus, obwohl für die Redaktoren der Evangelien dieses Nachtgespräch die beste Gelegenheit für die Überlieferung einer politischen Programmatik Jesu geliefert hätte. Nein:
"Du mußt wiedergeboren werden aus dem Geist (pneuma)" war das Thema.

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