Rudi Grafberger

 

Rudolf Grafberger:

Nach´m Krieg um sieben im Spezial

oder

Bamberg als geistige Lebensform

(Verabschiedung des Stadtrates am 24.4.2002 im Refektorium von St. Michael)


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
verehrte Kolleginnen, liebe Kollegen!

Keine Angst, dass ich die Laudationes des Oberbürgermeisters noch lange ergänzen werde.

Zunächst einige Worte des Dankes

Herrn Oberbürgermeister für seine ehrenden Worte an uns, die wir heute aus dem Stadtrat ausscheiden.

Unser Dank gilt den Bürgerinnen und Bürgern, die uns über Jahre hinweg ihr Vertrauen geschenkt haben.

Dank an die Verwaltung und an alle Kolleginnen und Kollegen, die uns - und vor allem auch mich - ertragen haben.

Mein persönlicher Dank an die - von Albert Bauer bis Luise Zenk - die mich getragen, unterstützt und beraten haben.

Oft werde ich gefragt:
"Wie hält man es 36 Jahre im Stadtrat aus?"

Ich gestehe:
Oft hätte ich lieber den schmerzensreichen Rosenkranz gebetet, als manche Debatte über mich ergehen lassen.

"Warum macht man das mit. Warum engagiert man sich?"

Das hat zuerst mit dieser Stadt zu tun - einer Stadt, zu der man mehr noch als eine emotionale Bindung hat.

1926 hielt Tomas Mann zur 700-Jahrfeier unserer Partnerstadt Lübeck die Festrede unter dem Titel: "Lübeck als geistige Lebensform."
In seiner Reflexion über Selbsterkenntnis sagte er:
"Es kam der Tag und die Stunde, wo mir klar wurde, dass niemals der Apfel weit vom Stamme fällt,
dass ich viel echter, viel mehr ein Apfel vom Baume Lübecks war, als ich geahnt hatte,
dass es sich um eine Lebensform, um Lübeck als geistige Lebensform handelte."

Bamberg als politische Lebensform
Bamberg als geistige Lebensform

Wiederholt habe ich meine Verehrung gegenüber den von mir heilig gesprochenen Stadtneurotikern Aristoteles, Johannes, Hegel und Schwejk kundgetan.
Sie gaben meinem kommunalpolitischen Handeln Hintergrund, Begründung und Herausforderung.

Aristoteles

Sein "zoon politikon" heißt: Der Mensch ist seiner Natur nach ein städtisches Wesen. In der Polis findet er den Existenzraum, in dem er sein vom Geist bestimmtes Wesen voll verwirklichen kann.

Hegel - der Philosoph vom Kaulbergfuß

Die Polis - die Stadt - ist der "großgeschriebene Mensch" (so Hegel in seiner Politeia 368 c-d).
Für Hegel lag in der Polis der Seinsgrund des Menschen "... nur aus diesem Geiste wolle, handle, lebe und genieße der Mensch, so dass ihm dies seine zweite geistige Natur sey." (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie)

Johannes

"Ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet als eine geschmückte Braut."
So steht es kostbar illustriert in der Apokalypse des Johannes, die als eine der größten Kostbarkeiten in der Staatsbibliothek aufbewahrt wird.

Es ist denkwürdig: das erste Paradies, das Paradies des Anfangs wird in der Genesis als ein Garten beschrieben, als eine schöne freundliche Wildnis, als ein Biotop, wie man heute sagt.

Das zweite Paradies aber, das Paradies des Zeitenendes, der Ort der glücklichen Ankunft wird die Stadt sein.
Und so unrecht scheint der Seher nicht zu haben, wenn man in unsere Gegenwart blickt. Die Menschen fliehen aufs Land. Doch ihre Lebensform ist städtisch.

Das zukünftige Leben ist also ein städtisches. Es ist ein Paradies der Kultur - ein Ort nicht der Wildnis, sondern der Ordnung - die heilige Stadt auf dem Berg.
Für diese Stadt steht im Bild vom Apostelabschied in unserem Historischen Museum die Silhouette von Bamberg.

Mit diesem Bild des himmlischen Jerusalems korrespondiert in der Apokalypse ein zweites: Das dämonische Ungetüm, die Hure Babylon.
Es ist die Stadt des Mammon, des hohen Turmes, der Maßlosigkeit und der Sprachverwirrung -
die Stadt in der alles käuflich ist, die Hure und der Politiker.

Dies sind Urbilder der Menschheit, Bilder und Formeln alter Weisheiten und Erfahrungen.

Ein Politiker ist kein Pfarrer, kein Prediger und erst recht kein Moralapostel. Es schadet aber nicht, sein kommunalpolitisches Tun auch mal vor solchem Hintergrund zu sehen.
Aufgabe des Politikers ist es, an der Sache orientiert, gerecht, mutig und besonnen seine Entscheidungen zu treffen (unser Sitzungssaal im Alten Rathaus predigt es).

Ob Aristoteles, Hegel oder Johannes:
Die Stadt ist unser aller Schicksal.
Als Stadträte war sie unsere Aufgabe.
Es muss auch weiter um die menschliche Stadt gehen, um die Stadt, bei der noch - wie im Mittelalter - der Kirchturm größer ist als das Kaufhaus und die Bank.

Prof. Dr. Bergsträsser, den ich als Student in Freiburg hören durfte, formulierte beim Deutschen Städtetag: "Die städtische Lebensform ist unsere Zukunft. Es liegt an uns, dass sie auch unsere Hoffnung wird."

So muss unsere Leidenschaft dieser unserer Stadt gehören:
Ihrer Entwicklung und ihren Perspektiven, ihrer Eigenart und Kultur, ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und sozialen Verpflichtung.


Bamberg als geistige Lebensform
Bamberg als politische Lebensform

Opa als nachpolitische Lebensform

Mein Großvater - ein gestandener Bauer in Eggolsheim - war mein großes Vorbild.
Furchtlos nannte er 1933 Adolf Hitler einen Verrückten. Er saß dafür während der Reichstagswahlen im Gefängnis. Nach meiner Erstkommunion fuhr er mit mir nach Nürnberg, um mir (und vielleicht auch sich) auf dem Reichsparteitagsgelände zu schildern, wie ein ganzes Volk einem solchen Menschen verfallen könne.
Dass der Weltkrieg von Deutschland nicht gewonnen werden kann, erklärte er seinen Freunden und auch für mich verständlich. Er hielt auf seinem Globus mit seinem Daumen das "Großdeutsche Reich" zu und stellte fest: "Und die wollen gegen die ganze Welt den Krieg gewinnen!"

So erklärte er mir Gott und die Welt und seine Ahnungen, was die Menschen noch alles erfinden würden. Meine Mutter sagte: "Das hat er mit uns nicht gemacht."

So wie er wollte auch ich werden: klug, gerecht und furchtlos.
Und ein solcher Großvater möchte ich jetzt für meinen Enkel sein: glaubhaft und versuchen, mit einfachen Worten die Welt zu erklären.

"Opa, was ist ein Stadtrat?"

"Im Stadtrat sind 44 Männer und Frauen, die von den Bambergern gewählt werden, damit sie sich um die Stadt kümmern."

"Opa, was machen die?"

"Geh mit mir durch Bamberg. Wir suchen ein paar Spuren, die dein Opa hinterläßt!"

Michaelsberg

Bamberger Bier, statt Münchner Löwenbräu.
als Symbiose von Natur und Kultur (Pflegekonzept für Klostergarten)

Strukturen des Lebens einer Stadt

Nicht die Trennung (Charta von Athen) sondern die Mischung der Funktionen des Lebens in der Stadt:
Wohnen, Arbeiten, Bildung und Kultur, Bewegung.

Kultur:

die Villa Dessauer als Begegnungsstätte zeitgenössischer Kunst
die Konzeption der Konzert- und Kongreßhalle
das Stadtarchiv in der ehem. Chirurgie

Bildung:

das alte E-Werk als Volkshochschule
die Wiedergründung der Universität Bamberg
der Neubau der Fachoberschule

Sport

Dreifachsporthalle Ohmstraße
Dreifachsporthalle Georgendamm

Das wären Stationen und Stichworte mehrerer Stadtrundgänge unter dem Thema: "Die Stadt von gestern für den Menschen von morgen".

Josef Schwejk

Und da wäre noch mein vierter Stadtneurotiker, jener Josef Schwejk aus unserer Partnerstadt Prag.
Sanft vertrottelt, von pfiffiger Hilflosigkeit und anarchischer Unterwürfigkeit, ein verkannter Held, der Schutzheilige im Kampf des verwalteten und vergewaltigten Individuums gegen obrigkeitliche Bevormundung.

Heute, am 24. April, hätte sein Verfasser Jaroslav Hasek seinen 119. Geburtstag. Morgen fährt unsere Fraktion in seine Stadt.
"Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" enden mit dem Satz:
"Nachm Krieg um sechs beim Kelch!"

Unsere Stadtratszeit endet nun auch mit dem Satz:

"Nachm Krieg um sieben im Spezial (an jedem ersten Montag)!"

Ich freue mich, dass alle, die ich angesprochen habe, zum Stammtisch der Ehemaligen kommen:
Frau Dr. Probst und Luise Zenk
Max Reichelt und Herbert Güthlein
Rudi Sopper und Dr. Gerhard Krischker.

Denn auch das gibt es in der Politik, dass sich durch den gegenseitigen Respekt und die Art, wie sich politische Gegner gegenüber treten, persönliche Freundschaft erwachsen kann - bei aller Achtung vor den unterschiedlichen politischen Überzeugungen.

Ich war immer zuerst Stadtrat und ich habe mich in Ihren Reihen wohlgefühlt; denn der Stadtrat war quer durch alle Fraktionen ein Parlament von Bürgern, die mehr als nur eine emotionale Bindung zu dieser Stadt hatten. Und es sollte auch in Zukunft keine Versammlung von Technokraten und Karrieristen werden.

Darum mein Rat im Sinn vom Josef Schwejk:
"Nachm Kampf ein Bier beim Kelch"

Denn Streitkultur ist, nachher miteinander ein Bier trinken können.

Dem Stadtrat wünsche ich weiterhin eine glückliche Hand bei seinen Entscheidungen und die nötige Liebe zu dieser Stadt.

 

 

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