Rudi Grafberger

 

Kann ich Christ sein in der Politik?

Lassen Sie mich die Gegenfrage stellen:

Kann ich heute Christ sein ohne Politik?

Als der 2. Weltkrieg zu Ende ging, war ich 10 Jahre. Endlich konnten wir Ministranten von St. Martin in Bamberg uns in der Kath. Jugend frei entfalten. Unser Diözesanführer war Emil Kemmer - der Vater des hiesigen Pfarrers. Er wurde unser erster Bundestagsabgeordneter.

Er predigte uns: Christ sein in einer demokratischen Gesellschaft heißt, mitgestalten und Verantwortung übernehmen; denn wir werden eines Tages gefragt werden:
"Habt Ihr Euch verweigert und die Gesellschaft den anderen überlassen?"
Mit Emil Kemmer und Baron zu Guttenberg diskuttierten wir: "Ist es möglich, die Bergpredigt in Politik umzusetzen?"

Für uns war klar: Christ sein ohne Politik ist nicht verantwortbar.
In einer demokratishen Gesellschaft haben wir uns als Christen in der Politik zu engagieren. Denn der demokratische Staat entnimmt das Maß seines Einsatzes für christliche Wertvorstellungen nicht einer vorpolitischen Glaubenslehre, sondern allein der politischen Macht der Christen im öffentlichen Leben.

Christ sein in der Politik heißt nicht, daß wir Rezepte zur Gestaltung des Zusammenlebens in der Gesellschaft unmittelbar aus dem Evangelium ableiten können. Doch jeder der aus dem christlichen Glauben lebt, dem gelingt diese Umsetzung. Für den ist Politik eine Form christlicher Nächstenliebe.

Wer ist mein Nächster?

Vielleicht würde Jesus auf diese Frage sein Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) heute so erzählen:

Ein Mann fuhr von Bamberg nach Höchstadt. Auf der 505 wurde er Opfer eines Verkehrsroudies. Hilflos lag er in seinem Autowrack am Straßenrand. Zufällig fuhr ein Pfarrer vorbei; er sah ihn und fuhr weiter. Auch ein Politiker sah ihn und fuhr vorbei. Dann kam ein Moslem aus der Türkei, der hier in Deutschland arbeitet. Als er ihn sah, hielt er an, zog ihn aus seinem Wagen und verständigte von der nächsten Notrufsäule aus Rettungsdienst und Polizei. Er versorgte den Verletzten und wartete bis er in das nächste Krankenhaus abtransportiert war.
Wer hat sich als der Nächste erwiesen?
Die Antwort ist heute die gleiche wie damals:
"Der, der angehalten und geholfen hat!"

Doch in einer demokratischen Gesellschaft bekommt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter - wie ich glaube - eine weitere Perspektive:
Da ist neben der spontanen Hilfe für den einzelnen auch das Ganze (das Gemeinwohl, das Gesamtgefüge der Gemeinschaft) in unsere Verpflichtung gelegt.
Für den barmherzigen Samariter von heute geht es nicht nur darum, die Wunden zu verbinden, sondern auch darum, dafür zu sorgen, daß die Straßen sicherer werden, daß über Notrufsäulen Rettungsdienste herbeigerufen werden können, daß es Kliniken gibt, die ohne Ansehen der Person Hilfe leisten und daß das Versicherungssystem gerechte Strukturen aufweist.

Christ sein

Christ sein heißt: sich besinnen auf Jesus von Nazareth, auf das was er angestoßen und gewollt hat, die Herrschaft Gottes in der Welt, die Solidarität Gottes mit der Welt, die Befreiung des Menschen.

Christ sein heißt: sich einlassen auf ihn hier und heute.

Christ sein heißt: das Heils- und Befreiungspotential seiner Botschaft in der Welt sichtbar und erlebbar machen.

Christ sein heute heißt: Dienst am Nächsten und am Allgemeinwohl.

Christ sein in der Politik

Christ sein in der Politik heißt: nicht vorbeischauen, sonder sich hinstellen, die Ärmel hochkrempeln, Verantwortung übernehmen mit Mut, Augenmaß, Gerechtigkeit und Klugheit. So sagen es uns die vier Kardinaltugenden.

Klug sollen wir sein und die Dinge sehen, wie sie wirklich sind.
Gerecht sollen wir jedem geben, was ihm zusteht.
Tapfer sollen wir unseren Aufrag erfüllen und nicht nur nach Wählerstimmen schielen.
Besonnen sollen wir uns um Ausgleich bemühen.

(Statement bei der Pfarrsynode Höchstadt am 22. November 1997)

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