Der gute Geist aus den Feldern
Fränkische Wildpflanzen (9): Ein Porträt des Schlehdorns

Neben Hagebutte, Weißdorn und Brombeere ist Prunus spinosa, der Schlehdorn, der häufigste Heckenstrauch unserer Breiten. Er eröffnet im Frühling den Blütenreigen unter den 14 Baum- und Straucharten, die in fränkischen Lesesteinhecken vorkommen. Die Blüten erscheinen noch bevor die Blätter entfaltet sind (Anfang Mai). So wird eine Gefährdung des Schlehen-Grüns durch späte Nachtfröste verhindert. Nicht selten überraschen in Oberfranken Schneeschauer die blühenden Schlehen.

Die Bauern verbinden die Zeit der Prunus-Blüte mit feuchtem Wetter: "Ist die Schlehe weiß wie Schnee, ist´s Zeit, daß man die Gerste säe". Die üppige Blüte ist eine willkommene Kost für Insekten, die früh im Jahr fliegen - eine leicht zugängliche Nektarquelle für Bienen und Hummeln. Die später treibenden Blätter werden besonders gern von Schmetterlingsraupen angenagt, von Segelfalter, Nierenfleck, Zipfelfalter und hauptsächlich von den gesellig lebenden Gespinstmotten, die seidene Zelte im Astwerk aufbauen und bisweilen so häufig vorkommen, daß ganze Schlehenbestände kahlgefressen sind.

Die Schlehe gehört zur Familie der Rosengewächse, deren Arten oft mächtige Dornen und Stacheln tragen. So auch Prunus spinosa: ihr lateinischer Artname (spinosa=stachelig) und die deutsche Bezeichnung Schwarzdorn weisen darauf hin. Es handelt sich dabei um umgewandelte Seitentriebe, die vor Verbiß durch äsendes Wild schützen sollen. Zusammen mit anderen Rosengewächsen bildet die Schlehe in Hecken oft undurchdringliche Dornengestüppe, die viele Vogelarten Versteck und Schutz für ihre Nester bieten (z.B Neuntöter, Goldammer etc.). Der lichtliebende Schlehdorn ist äußerst widerstandsfähig gegenüber Fraß und Schnitt. Er vermag flachgründigen Boden schnell zu besiedeln und vermehrt sich durch Fruchtstreuung über Säuger und Vögel (geschlechtliche Vermehrung), wie auch durch Wurzelschößlinge (ungeschlechtliche Fortpflanzung).

Trotz ihrer starken Fruchtbarkeit ist die Schlehe durch die Maßnahmen der modernen Flurbereinigung vom Ackerland weitgehend verdrängt. Erst die jüngere ökologische Forschung, wie sie an der Universität Bayreuth betrieben wird, hat die Nützlichkeit von Hecken für die Landwirtschaft bewiesen und ihren Schutz gerechtfertigt: als Erosionsschutz, Reservat für Nützlinge, klimastabillisierendes Element, ästhetische Bereicherung und Quelle für wilde Heil- und Nutzpflanzen.

Für Vögel und Mäuse, die im Winter auf Beerennahrung angewiesen sind, ist der sparrige Strauch unentbehrliche Speisekammer und Überlebensgarantie. Aber auch der Mensch bereitete sich noch vor wenigen Jahrzehnten auf die kalte Jahreszeit vor, indem er u. a. die bereiften, mattblauen Früchte des Schwarzdorns sammelte. Sie waren (und sind) Rohstoff für köstliche Getränke, welche die langen, eisigen Winterabende wärmten und versüßten: Schlehenwein und verschiedenste Arten von Schlehenschnaps lassen sich aus den enorm gerbstoffreichen Steinfrüchen gewinnen. Die Gerbstoffe verursachen den typisch pelzigen Geschmack des Schlehenfleisches auf der Zunge.

Kenner wisse, daß die "geistigen" Getränke am besten werden, wenn die Beeren ein bis zwei Nächte Frost bekommen haben - sie schmecken dann süßer. Es lohnt sich, sobald Reif die Erde überzieht, an den Waldrändern und Hecken entlang zu gehen und die prallen Früchte zu sammeln: denn der Geist, der aus den Schlehenhecken kommt, ist - in Maßen getrunken - ein Freund des Menschen und ein tröstender Begleiter für die dunklen, kalten Wintertage.