Noch bevor die Pracht der Frühblüher sich in den winterlichen
Buchenwäldern entfaltet und die neue Vegetationsperiode einleitet,
fallen dem aufmerksamen Spaziergänger schon im Februar die
hängenden Blütenkätzchen der Haselnuß an
Hecken und Waldrändern auf. Sie wurden bereits im vorigen
Herbst angelegt. An oft noch schneebedeckten Zweigen öffnen
sie sich im Sonnenschein und geben bei der geringsten Erschütterung
Wolken von Blütenstaub von sich, der sich rasch in der Luft
ausbreitet.
Die dicht gedrängte Anordnung der männlichen Blüten
um eine gemeinsame Achse (eben die Kätzchenbildung) ist eine
Anpassung des Haselstrauches an die Windbestäubung. Durch
die leicht bewegliche Aufhängung der Kätzchen ist eine
effektive Verbreitung der Pollen garantiert. Sie wird noch dadurch
begünstigt, daß die Blätter erst nach der Bestäubung
austreiben und daher den Pollen bei seinem Anflug auf weibliche
Blüten nicht behindern.
Man hat berechnet, daß ein Haselnußstrauch jedes Jahr
500 Millionen Pollenkörner verstreut. Die Wahrscheinlichkeit,
daß das winzige vom Wind getragene Pollenkorn auf die Narbe
einer weiblichen Blüte trifft und diese befruchten kann,
ist so gering, daß die Natur mit solch hohen Zahlen arbeiten
muß, um den Bestand der Art zu sichern. Botaniker haben
herausgefunden, daß sich in Europa während einer Vegetationsperiode
auf einem Quadratzentimeter Erde im Durchschnitt 27 000 Pollenkörner
der verschiedensten Arten niederlassen. Viele Allergiker bekommen
diese Invasion jedes Jahr hautnah zu spüren. Die Phantasie,
mit der die Natur den massenhaften Pollenflug organisiert, entwickelt
sich auch, wenn es gilt, ihn wieder einzufangen. Die roten Narben
der unscheinbaren weiblichen Haselblüten sind sternförmig
ausgebreitet. Sie wirken mit ihren gespreizten Haaren wie Reusen,
die den Blütenstaub aus der Luft kämmen. Freilich müssen
sie dabei aus der Vielzahl der eingefangenen Körner eines
ihrer eigenen Art herausfinden - ein Kunststück, das sie
nur durch ihre ausgeprägte chemische Sensibilität zuwege
bringen. Die Blütennarbe erkennt "ihren" Pollen
an seiner unverwechselbaren "Duftnote".
Bis zum Herbst entwickeln sich aus den weiblichen Blüten
die von Hochblättern umhüllten Haselnüsse. Sie
werden durch Tiere verbreitet (Eichhörnchen, Haselmaus, Kleiber
u. a.) und dienen ihnen zugleich als wertvolle Winterkost. Der
hohe Fettgehalt der Reichtum an Vitaminen und Spurenelementen
und der röstige Geschmack machen die Nüsse auch für
den Menschen zu einer beliebten Beikost. Im Handel werden meist
südeuropäische Haselnüsse angeboten. Es sind die
Früche der mit unserer Hasel engverwandten Lamberts-Hasel
und der Baum-Hasel. Eine heilende Wirkung der Nüsse bei Impotenz,
wie sie die mittelalterliche Klosterfrau Hildegard von Bingen
behauptete, wies die pharmazeutische Forschung bisher nicht nach.
Daraufhin deutet vielleicht die Erweiterung der Blutgefäße,
die ein Aufguß der jungen Blätter bewirkt. Eine traditionelle,
ebenfalls umstrittene Nutzung der Hasel ist das Schneiden von
Ruten für die Suche nach Wasseradern im Erdreich. Talentierte
Rutengänger übezeugen durch ihren Erfolg, der Wissenschaft
aber der Glaube an diese Art von Vermessung.
Die Hasel, ein lichtliebendes Birkengewächs, ist eines der
ersten Gehölze, die Mitteleuropa nach der Eiszeit wiederbesiedelt
haben. Im Gefolge von Birke und Kiefer baute sie schon 7000-8000
v. Chr. die Strauchsicht in den damals lichten Wäldern auf.
Besonders Insekten sind ihr auf diesem Vormarsch nachgefolgt.
Heute leben bis zu 70 Arten an ihr.
Was Tiere von den Früchten übrig lassen, kann der Mensch
ernten. Dabei ist heute aber Vorsicht geboten: nach dem Unglück
von Tschernobyl fand man in Haselnüssen besonders hohe radioaktive
Strahlung.