Unscheinbare Vielfalt am Wegesrand
Fränkische Wildpflanzen (5):
Ein Porträt der Ackerdistel
Ein heißer Sommertag: über
den Feldern liegt weißes Licht. Das Getreide steht still
und glänzt in einförmigem Gelb. Nur hie und da leuchten
zwischen den gedrungenen Ähren lilarote Flecken hervor -
die Blütenköpfe der Ackerdistel, die viele als unliebsamen
Gast aus ihren Gärten kennen. Botaniker rufen sie mit dem
klangvollen Namen Cirsium arvense. Bauern wie Gärtnern ist
sie gleichermaßen Grund zum Ärgernis. Denn sie kann
sich durch unterirdische Ausläufer fortpflanzen, und dort,
wo sie sich festsetzt, behauptet sie sich beharrlich.
Während der Stengel im Herbst abstirbt,
überdauert der Wurzelstock die Kälte und treibt im nächsten
Frühjahr neu aus. Das Rhizom (Wurzelsproß) reicht bis
in zwei Meter Tiefe. Die Ackerdistel bringt wie viele andere Korbblütler
(Löwenzahn, Flockenblumen) gewaltige Mengen an Samen hervor.
Jeder Stengel trägt 20-40 Blütenkörbe, und da jeder
Korb etwa 100 Blüten enthält, erzeugt ein einziger Sproß
immerhin gut 5000 flugfähige Samen, die sich mit ihrem "Segelschirm"
aus weißen Haaren vom Wind wegtragen lassen. Die enorme
Fruchtbarkeit macht die Ackerdisteln zu den häufigsten und
hartnäckigsten "Unkraut"pflanzen.
Daß die wuchernde Ausbreitung
dennoch in Grenzen gehalten wird, liegt an der Vielzahl von Insekten,
die sich von Blatt und Blüte des stacheligen Krautes ernähren.
Im fränkischen Raum, so wird geschätzt, wohnen und zehren
etwa 100 Insektenarten an der stickstoffliebenden Pflanze. Diese
Vielfalt hat Wissenschaftler bald zu näherem Studium verführt.
An der Universität Bayreuth sind Disteln und Flockenblumen
begehrte Forschungsobjekte. Die Forscher wollen wissen, nach welchen
Gesetzen eine solche Miniwelt aus Pflanze und Insekten funktioniert.
Man erhofft sich davon ein Verständnis auch für größere
Ökosysteme - Wissen, das angesichts drohender Umweltkatastrophen
notwendiger und dringlicher denn je erscheint.
Auch dem Laien offenbart sich an der
Distel bei näherem Hinsehen eine reiche Tierwelt: da surren
pollenfressende Schwebfliegen umher und naschen Falter am Blütennektar.
Da gibt es Wanzen und Zikaden, die Saft saugen - ihre Mundwerkzeuge
sind zu spitzen Stechrüsseln umgebildet. Und da laben sich
im Innern des Blütenkorbs Käferlarven und Schmetterlingsraupen
am frischen Gewebe wie Maden im Speck.
Der Tisch ist reich gedeckt, und viele
bedienen sich. Daß bei all dem Trubel um das grüne
Menü unter den Insekten kein Chaos entsteht, dafür sorgen
die oft fein aufeinander abgestimmten "Strategien" der
sechsbeinigen Gäste. Und die werden von den Ökoforschern
genau unter die Lupe genommen. Sie interessieren sich brennend
dafür, wie Ordnung in dieser wilden Gesellschaft der Insekten
aufrechterhalten und nach welchen Regeln die pflanzliche Speise
aufgeteilt wird.
Die Fäden zu entwirren, die das
Gewebe des lebendigen Miteinanders von Distel und Insekten bilden,
ist mühsame Kleinarbeit. Computer leisten dabei unschätzbare
Dienste. Ganze Batterein von Rechenmaschinen und Statistikprogrammen
helfen den Forschern, der Komplexität solcher ökologischen
Systeme Herr zu werden. Wer da einwenden möchte, was dieser
enorme Aufwand an Zeit und Technik denn soll, wird von den Spezialisten
gern aufgeklärt: auf unsere gefährdete Umwelt wird hingewiesen
und die Notwendigkeit ökologischen Wissens, aber auch auf
bereits erfolgte praktische Anwendungen der Forschungsergebnisse.
So konnte beispielsweise in Kanada aufgrund wissenschaftlicher
Erkenntnis eine weit verbreitete Distel durch den Import eines
Käfers biologisch bekämpft werden - eine billige und
umweltschonende Alternative zum chemischen Gifteinsatz.
Für Forscher und Insekten ist die
Ackerdistel eine wahre Goldgrube. Und auch für Gärtner
und Landwirte muß sie keine Plage sein. Wer Verdichtung
und Überdüngung des Bodens vermeidet, wird kaum Probleme
mit ihr haben.