Leben auf Schutt
Stadtökologischer Lehrpfad Bamberg (3.Station): Ruderalflur
und Gebüsch am Teufelsgraben
Biologen haben, wie jede Profession, ihre eigene Sprache. Mitunter
mag diese Sprache Mißverständnissen vorbeugen, nicht
selten aber weckt sie, analog zu anderen Fachjargons, auch Unverständnis.
Was unter der Bezeichnung "Ruderalflur" sehr gelehrt
daherkommt, bezeichnet im Grunde einen simplen Sachverhalt: mit
dem Sammelbegriff "Rudus" bezeichneten die Römer
Ruinen, Schutt und Bauabfall, sodaß Ruderalflur wörtlich
übersetzt nichts anderes als Schuttplatz heißt.
Egal ob es sich um Trümmergrundstücke der Nachkriegszeit,
hinfällige Burggemäuer, Straßendämme oder
Abrißgrundstücke handelt - auf Ruderalfluren gedeiht
eine üppige Pflanzen- und Tierwelt. Infolge der Wärmekapazität
des Gesteins und des Einflusses menschlichen Stoffwechsels sind
Schuttfluren meist reich an Licht, Wärme und Stickstoff.
Daran angepaßte Pflanzen finden sich schnell ein, zuerst
einjährige Kräuter, dann Gräser und mehrjährige
Stauden. Bleibt das Grundstück lange genug ungenutzt liegen,
setzt sich die "Sukzession" fort - so nennen Ökologen
den Reifeprozeß eines Lebensraumes. Man kann das Kraut-
und Staudenstadium einer solchen Flur mit der menschlichen Kindheit
gleichsetzen, die um sich greifende Verbuschung mit dem Erwachsenwerden
und den nachfolgenden Übergang zu Wald mit dem Greisenalter.
Nicht nur Ruderalfluren, auch Wiesen und Äcker, gehen ohne
Zutun des Menschen letztlich in Wald über. Bar jeden menschlichen
Eingriffes würde Deutschland wieder zum "dunklen Germanien"
werden, wie es der römische Geschichtsschreiber Tacitus für
das vormittelalter-liche Deutschland beschrieb. Ein Beleg mehr
für die Wahrheit jenes weisen Wortes, daß der Wandel
das einzig Beständige ist. Natur darf alles andere als statisch
gedacht werden, eine Tatsache, mit der sich Naturschützer,
die immerzu erhalten wollen, selbst erst anfreunden müssen.
Auf der Ruderalflur am Teufelsgraben standen einstmals Häuser
der Stadtbau GmbH. Heute haben sich über die ganze Fläche
hochwüchsige Stauden wie der Beifuß, die Goldrute (ein
Neubürger aus Nordamerika) und diverse Distelarten breitgemacht,
und vereinzelt sind auch Gehölze eingewandert. Im angrenzenden
Hangbereich haben sie sich zur stattlichen Baumhecke zusammengeschlossen.
An der Böschung ist die Nährstoff- und Wasserversorgung
üppiger, sodaß die Sukzession dort schneller voranschreitet
und das Endstadium Wald früher erreicht ist als auf der vorgelagerten
Schuttflur. Der Haferpflaume oder "Krieche", einer verwilderten
Form der Zwetschge, haben sich im Lauf der Zeit Hasel, Holunder,
Schlehe und andere Pflanzenarten (insgesamt 30!) beigesellt. In
ihrem Schutz brüten 11 Vogelarten, die sich den Lebensraum
nach Stockwerken aufteilen: im "Erdgeschoß" die
Heckenbraunelle und der Zilpzalp, im "1.Stock" Amsel
und Grünfink, im "Dachgeschoß" die Elster,
deren Nutzen als Schädlingsvertilger übrigens den vermeintlichen
Schaden als Nesträuber von Singvögeln überwiegt
- sie erbeutet den Nachwuchs häufiger Arten (z.B. Amsel)
und kann Singvogelbestände nicht wirklich gefährden.
Eine Sonderrolle in der Wohnungswahl nehmen die Meisen ein: die
Blaumeise und die etwas größere Kohlmeise brüten
in Höhlen oder ersatzweise in Vogelkästen.
In der noch offenen, gehölzarmen Flur, die dem Gebüsch
am Hang vorgelagert ist, finden die Vögel während der
Brutzeit Nistmaterial (Moose, Gräser, Blätter) und eine
Fülle von Insekten, die ihre Jungen als Eiweißquelle
brauchen. Infolge des Blütenreichtums von Ruderalflächen
- man schaue sich nur jetzt im August dort um - stellen sich Unmengen
von Faltern, Wildbienen und Fliegen ein, die Nektar und Pollen
sammeln, oder auch Heuschrecken, die sich am Blattwerk verköstigen.
Diese dienen dann Kleinsäugern und Vögeln zum Fraß.
Das "höhere" Leben kann sich nur auf Kosten des
"niedrigeren" entfalten. Man sollte deshalb keine, noch
so unscheinbare Art von vornherein als überflüssig klassifizieren.
Das Netz der Natur ist kompliziert gebaut und einfache Wirkzusammenhänge
eher die Seltenheit.
Moderne Bauweise, Unkrautbekämpfung und eine übertriebene
Ordnungsliebe haben die "spontane" Vegetation von Ruderalflächen
in den letzten Jahrzehnten auf Kleinvorkommen reduziert. Um diesen
besonderen Biotoptypus zu regenerieren, ist weniger eine planvolle
Anlage vonnöten als ein wenig Nachlässigkeit: das Belassen
von sonnigen, mit Steinen angereicherten, einstmals genutzten
Flächen - vielleicht auch in einer Gartenecke, die man selten
betritt und die sich, ausgestattet mit einer Lage gebrochenem
Stein, zur Schuttflur entwickeln darf.