Wie ein Traum aus früheren Tagen
Lebensräume in Franken (5.Folge): Alte Weinberge, Wärmeinseln in der Landschaft

Flurnamen wie die Weinleite bei Ködnitz (Landkreis Kulmbach) oder der Weinberg bei Bayreuth erinnern daran, daß der fränkische Weinanbau einst viel weiter nach Osten reichte als heute. Im Mittelalter, etwa bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges, war es nach Angaben von Prof. Rudloff aus Freiburg in unsenren Breiten durchschnittlich etwa 1-2 Grad wärmer, sodaß die Rebwirtschaft bis in eine Höhe von 780m betrieben werden konnte. Mit dem Sinken der Temperaturen und einer sich verändernden Wirtschaftslage rückte die "Weinfront" mehr und mehr nach Westen. Selbst im relativ sonnigen, unterfränkischen Maintal finden wir heute zahlreiche brachgefallene Weinhänge. Durch die Aufgabe der Bewirtschaftung sind die früheren Rebflächen mittlerweile meist stark verbuscht oder bewaldet. Trotzdem erkennt man mancherorts noch gut die Relikte der früheren Wirtschaftsform: unter Sträuchern hervorlugende Trockenmauern, terrassierte Hangabschnitte, halbzerfallene Häuschen.

Während weiter westlich die Weinhänge bis zum wirklich letzten WIldkraut bereinigt wurden und mit massivem Pestizid- und Düngereinsatz gewirtschaftet wird, sind die alten, inzwischen unrentablen Weinbergslagen ganz dem Spiel der Natur anheimgefallen. Am Ende dieses Spiels stünde - gesetzt der Mensch griffe nicht ein - der Buchenwald. Aber soweit wollen es die Naturschützer nicht kommen lassen. Sie wissen, daß ein geschlossener Buchenwald weit weniger "Nischen" und damit weniger Arten beherbergt als ein gealterter, mäßig gepflegter Weinberg mit seinem vielgestaltigen Mosaik von Lebensräumen.

Dort können sich auf engstem Raum Rebflächen, Obsthaine, Wiesen, Weiden und brachgefallene Weingärten abwechseln. Und durchzogen wird der bunte Reigen dieser Biotope von flechten- und moosbewachsenen Mauern, verbuschten Steinriegeln und heckengesäumten Rainen. Aufgrund ihrer besonderen Lage - mit südexponierten, sonnenreichen Hängen - sind alte Weinberge Wärmeinseln ibn der Landschaft. Sie werden vornehmlich von wärmeliebenden Tieren und Pflanzen besiedelt, die sonst weiter im Süden leben. In einem nur 1.5ha großen fränkischen Weinberg fanden Ökologen 131 Bienenarten (!), 52 Schmetterlings- und 37 Vogelarten. Mit genügend Nahrung wird dieses schwirrende, flatternde Lebensgeflecht von weit über 300 Pflanzenarten versorgt, z.B. der Traubenhyazinthe, dem nach Zitrone duftenden Diptam oder der gefährdeten Weinbergstulpe. An den lichten Mauern und Steinstufen rankt sich das zierliche, hellrosa Zimbelkraut und auf den extensiv bewirtschafteten Wiesen am Hangfuß wächst mitunter die langblütige Riemenzunge (Orchidee). Wer an einem wamrne Junitag durch einen Hohlweg oder über die halb verfallenen Steintreppen einen solchen Berg hochsteigt, gerät in einen Rausch von Farben, Aromen, zirpenden und zwitschernden Tönen.

Es mag wie ein Traum sein aus früheren Tagen. Daß es daraus kein böses Erwachen gibt, dafür kämpfen Naturschützer mit allem Einsatz. Sie drängen darauf, daß alte Weinberge unter Schutz gestellt werden. Der Staat fördert die extensive Pflege dieser Biotope mit langfristigen Programmen. Der Weinbauer erhält einen finanziellen Ausgleich für Ertragseinbußen, die ihm der Verzicht auf intensiven Anbau bringen. So wird dort in unseren Tagen nicht mehr aus wirtschaftlichen Erwägungen gemäht, werden Hecken gestutzt und überwucherte Mauern freigelegt, sondern aus Gründen des Biotop- und Artenschutzes.

Eine Kultur, die auf weiter Fläche die Lebensräume von Tieren und Pflanzen vernichtet hat, leistet sich heute den Luxus, hier und dort Überlebensinseln in der Flur zu sichern. Aber allein mit einer solchen Reservatsstrategie wird sich das Problem nicht lösen lassen. Namhafte Naturschutzverbände fordern Biotop- und Artenschutz auf 100% der Fläche: eine naturnahe Wirtschaftsform, bei welcher der Mensch und die anderen Geschöpfe allerorts friedlich koexistieren können. Der unwiderstehliche Duft des blühenden Diptam will uns zu solchem Schritt verlocken.