Weit mehr als die Summe von Bäumen
Lebensräume in Franken (7.Folge): der Wald, ein Biotop in akuter Gefahr

Wie kaum ein anderer Biotoptyp ist der Wald in die Schlagzeilen gekommen. Und fast so schnell wieder daraus verschwunden, verdrängt von anderen sensationellen Umweltthemen - Treibhauseffekt, Ozonloch, Nord- und Ostsee. Dennoch: tief ist der Wald in der deutschen Seele verwurzelt und die Sorge um ihn nicht leicht wegzuschieben. Ganze Landschaften sind auch in unserer Region nach ihm benannt, wie beispielsweise der Frankenwald oder der Steigerwald. Seinem modernen Siechtum, "neuartige Waldschäden" genannt, kam die undankbare Aufgabe zu, unsere Gesellschaft aus ihrem Wohlstandsrausch zu erwecken und den Umweltschutz zu einem der höchsten politischen Ziele zu avancieren. Die Tatsache, daß in Süddeutschland 50 bis 60% der Bäume nach wie vor krank sind, steht ungebrochen da als stumme Frage an uns. Sie ist noch nicht beantwortet.

Unser Land war vor Beginn der historischen Zeit ein pures Waldland. Aus der Analyse von fossilem Pollen weiß man, daß um ca. 5000 v.Chr. ganz Franken von Buchen, Eichen und Linden bestockt war. Im Mittelgebirge gesellte sich die Fichte dazu. Die Kiefer, die heute große Bestände bildet, gab es selten. In der Steinzeit (3000 v.Chr.) setzte die Rodungstätigkeit des Menschen ein. Sie führte in mehreren Zyklen zu dem heutigen Waldbestand von etwa 1/3 der Landesfläche.

Hochphasen der Rodung waren die Eisenzeit, als Holzkohle für die Metallproduktion benötigt wurde, und das Mittelalter (Salzherstellung, Städte- und Schiffsbau). Im 19.Jhd. wurde der Wald als Brennholzlieferant durch das Aufkommen der Steinkohlefeuerung zunächst entlastet (deren Emissionen begannen ihn aber später wiederum zu belasten!).

Damals setzte die Wende zum Nadelwald ein. Schnellwüchsige Hölzer wie Fichte und Douglasie traten an die Stelle der Laubbäume. Nicht mehr Feuerholz war gefragt, sondern Nutzholz. Während der Nadelholzanteil 1790 noch 20% betrug, war er 1909 bereits auf 52% und 1973 auf 65% angestiegen.

So gibt es heute in Franken keine Urwälder mehr. Es haben sich lediglich im Bayerischen Wald kleine Reste erhalten, die im Nationalpark liegen. Und auch die alte Wirtschaftsform des Niederwaldes ist selten geworden. Sie war dadurch gekennzeichnet, daß die Waldbauern robuste Bäume wie Hainbuchen, Erlen oder Weiden in Intervallen (30 Jahre) auf Stock setzten und die jungen STämme nutzten. Ein solcher Wald wurde nur 15 bis 20m hoch und ließ besonders viel Licht einfallen, was wiederum einen hohen Artenreichtum an Pflanzen und Tieren bewirkte.

Heute dominieren eintönige Forste, sogenannte "Altersklassenbestände": das sind Nadelbäume, die nach einem Kahlschlag gleichzeitig auf oft großen Flächen gepflanzt werden. Aber einige Waldbauern und Forstleute<haben - auch im Fränkischen - bereits umgeschaltet. Spätestens seit Vivian und Wiebke, verheerende Stürme im Frühjahr 1990, ist auch für Gegener des naturnahen Waldbaus nicht mehr zu leugnen: Mischwälder sind langfristig stabiler und bringen mehr Ertrag als die krisenanfälligen Reinbestände von Fichten oder Kiefern. Letzteren machen Sturm, Schnee und Schädlinge weit mehr zu schaffen. Zudem verursachen die Monokulturen der Nadelbäume in kurzer Zeit eine beträchtliche Versauerung des Bodens, womit sie die allgegenwärtige Säureattacke aus der Luft noch verstärken.

Ökologen treiben den Umbau von Nadel- zum Mischwald voran. Für sie ist der Wald mehr als die Summe seiner Bäume. Sie haben ihn neu entdeckt: als komplexes Gefüge von Boden, Pflanzen und Tieren; als Lebensraum, der ausgleichend auf Niederschläge und Temperatur wirkt, der Wasser speichert, die Luft kühlt und reinigt, und der schließlich Heimat ist für eine Vielzahl von Lebewesen. 1 ha Buchenwald erzeugt Sauerstoff für 100 Menschen, filtert jährlich die Staubmenge von 7000 Zementsäcken aus der Luft und speichert im Wurzelbereich an die zwei Millionen Liter Wasser. In den mitteleuropäischen Buchenwäldern leben 4200 Pflanzen- und 6700 Tierarten. Dabei machen bei den Pflanzen die Pilze 80% der Artenfülle aus, bei den Tieren die Insekten einen ebenso hohen Anteil. In engem Zusammenspiel sorgt diese Vielfalt für die Stabilität des Lebensraumes. Jede Verarmung macht das Biotop anfälliger in "Krisenfällen", ein Faktum, das seine Parallele im Monopolisierungsprozessen unserer Energie- und Wasserwirtschaft findet.

Gesunde Laubwälder sind von nicht mit Geld aufzuwiegendem Wert für die psychische Stabilität des Menschen: ein Spaziergang durch sie kann oft heilsamer sein als eine Packung Psychopharmaka. Der gegenwärtige, sieche Zustand der Wälder in Franken und anderswo zeigt an, daß wir inniger mit der Natur verbunden sind, als uns der Verstand vorgaukeln will und daß wir nicht Heil von einer Natur erwarten können, die selber krank ist.

Wenn das Laub Atemschwierigkeiten bekommt, husten auch die Kinder. Wenn die Wurzeln verdorren, rutscht der Berg oder kommt die Flut oder die Dürre. Es sieht aus, als ständen wir vor einer sehr persönlichen Erfahrung: daß wir nämlich den Wert von etwas erst zu schätzen wissen, wenn wir es verlieren.