Wo die Natur aufatmen kann
Lebensräume in Franken (8.Folge): Brach- oder Ödland, Biotop auf Zeit

So spontan sie entstehen, so schnell verschwinden sie auch wieder: Brachen sind Biotope auf Zeit, ihr Markenzeichen ist die Kurzlebigkeit. Sie entwickeln sich dort, wo die menschliche Nutzung eingestellt und den Eigenkräften der Natur freies Spiel gegeben ist. Aber selbst im einstigen "Zonenrandgebiet" Franken bleiben dafür meist nur ein paar Jahre. Im dichtbesiedelten Mitteleuropa bestehen allerorts vielfältige Nutzungsansprüche an Grund und Boden. Umwidmung zum Baugebiet oder Zusammenführung von Grundstücken bei der Flurbereinigung bedeuten üblicherweise das Ende einer Brache.

Ihre Vergänglichkeit spiegelt sich im Artenspektrum wider. Im Jugendstadium ist Brach- oder Ödland oft schütter mit ein- und zweijährigen Pionierkräutern bewachsen. Im Lauf der Zeit werden sie zunehmend von dichter stehenden, mehrjährigen Stauden überwuchert. Bevor Wald aufkommt, steht auf solchem "Unland" in der Regel ein Hochhaus oder eine Industriehalle.

Der ökologische Wert von Kulturbrachen ist erst seit kurzem erkannt. Bisher beschwor man in der Nachbarschaft zu solcher "Wildnis" gern die Angst vor Unkrautsamen oder es wurde fieberhaft überlegt, wie man derartige Flächen gewinnbringender nutzen könnte. Die neue Wertschätzung der Brachen folgt aus der Tatsache, daß Räume, wo sich Natur spontan ansiedeln kann, selten geworden sind. Dort wo Verbundpflaster, eingefaßte Rabatten und Zierrasen nahtlos aneinandergrenzen, können weder Kinder noch die Natur ihr buntes Spiel entfalten.

Selbst in Frankens freier Flur ist Brachland mittlerweile Mangelware. Und das trotz Bauernsterben: immer weniger Großbauern nutzen das Land immer intensiver. Auf der Flucht vor solch tödlicher "Agrarindustrie" versuchen Pflanzen und Tiere in die Dörfer und Städte einzudringen. Aber auch dort ist der Platz knapp für sie. Die Versiegelung fränkischer Städte, die wachsenden Wohnbau-, Industrie- und Verkehrsflächen haben im Siedlungsraum ungenutztes Land auf oft unbedeutende Reste schrumpfen lassen.

So hat sich Ödland, gerade an den Stadträndern, vielerorts zu Reservaten entwickelt, wo Natur regelrecht "aufatmen" kann. Hier darf sie sich in ureigenster Üppigkeit entwickeln - zumindest auf Zeit. Dementsprechend reich an Arten können brachgefallene Fluren sein. Über 400 Pflanzenarten besiedeln in verschieden zusammengesetzten Gesellschaften die Flächen, die dem Würgegriff menschlicher Nutzung entronnen sind. Auf 1000 Quadratmetern Ödland fanden Botaniker schon 180 verschiedene Kräuterarten - gar nicht so öde!

Es ist, als wüßten die Pflanzen um die Vergänglichkeit ihres Biotopes und entfalten in oft kürzester Zeit eine unwahrscheinliche Blütenpracht. Im Hochsommer mischen sich das Blau des Natternkopfes, die weißen Dolden der Schafgarbe und die aufrechten, reichblütigen Königskerzen zu einem leuchtenden Farbencocktail.

Zu den einheimischen Pflanzen wie Brennessel, Schöllkraut und Hundszunge gesellen sich häufig eingewanderte Kräuter aus aller Welt. Dabei unterscheidet man zwischen Alt- und Neueinwanderern. Die Alteinwanderer (Steinklee, Schwarznessel) kamen schon in vorchristlicher Zeit mit den Kulturpflanzen über die asiatischen Handelswege nach Mitteleuropa, die Neueinwanderer (Nachtkerze, Kanadische Goldrute) erreichten nach 1500 mit Eisenbahn und Schiffsverkehr vor allem aus Nordamerika ihre neuen Lebensräume. So kommt es, daß gerade im Umfeld von Häfen und Bahnhöfen besonders artenreiches Ödland liegt.

Von den 400 bekannten Ödlandpflanzen sind zehn Prozent gefährdet: sie stehen in der "Roten Liste", einem von Fachleuten ausgearbeiteten Sterbekatalog heimischer Arten. Nicht nur geschützte Feucht- und Trockenbiotope haben mittlerweile Seltenheitswert gewonnen, sondern selbst so anspruchslose Wildnis, wie sie sich auf Brachland einstellt!

Der Mangel an Brachen wirkt sich direkt auf die Tierwelt aus. Junges Ödland mit noch offenen Bodenstrukturen ist meist reich an räuberischen Laufkäfern. Sein Blütenschatz zieht Insekten aller Art an. Schmetterlinge, Käfer und Hautflügler sind wiederum leichte Beute für Eidechsen, Fledermäuse und insektenfressende Singvögel. Vor allem im Winter, wenn die Nahrung knapp wird, verköstigen sich viele Standvögel an den stehengebliebenen Halmen und darin verborgenen Insektenlarven.

Dieses ganze Netz von Leben zerreißt, wenn intensiver Landbau betrieben oder eine Ödfläche versiegelt wird. Ein deutliches Warnzeichen ist, daß selbst einstige Massenvögel wie die Spatzen selten werden. Ihnen fehlen der Staub zum Baden und die Samen der Wildpflanzen als Futter.

Manche Zeitgenossen meinen, wir bräuchten keine Wildnis zum Leben; für viele ist ein ungepflegtes Stück Land oder ein verwilderter Garten noch immer ein "Schandfleck", Zeichen von Minderwertigkeit und mangelndem Ordnungssinn; Geschäftsleute denken bei Brachland an Grundstücksspekulationen; der Glaube ist weit verbreitet, daß Natur beherrscht, geordnet, verkauft werden muß.

Psychologen haben im zwischenmenschlichen Bereich gefunden, daß zu starker Machtanspruch eines Partners eine lebendige Beziehung erschwert. Das gilt auch für unser Verhältnis zur Natur. Wir bleiben innerlich unbefriedigt, solange wir unseren Kultivierungszwang nicht zumindest zeitweise brachfallen lassen. Erst dann wird sich auch unsere "innere" Natur spontaner und üppiger entfalten. Brachen sind der rechte Ort, wo solche Anschauung gedeiht.