Wo die Natur aufatmen kann
So spontan sie entstehen, so schnell verschwinden sie auch wieder:
Brachen sind Biotope auf Zeit, ihr Markenzeichen ist die Kurzlebigkeit.
Sie entwickeln sich dort, wo die menschliche Nutzung eingestellt
und den Eigenkräften der Natur freies Spiel gegeben ist.
Aber selbst im einstigen "Zonenrandgebiet" Franken bleiben
dafür meist nur ein paar Jahre. Im dichtbesiedelten Mitteleuropa
bestehen allerorts vielfältige Nutzungsansprüche an
Grund und Boden. Umwidmung zum Baugebiet oder Zusammenführung
von Grundstücken bei der Flurbereinigung bedeuten üblicherweise
das Ende einer Brache.
Ihre Vergänglichkeit spiegelt sich im Artenspektrum wider.
Im Jugendstadium ist Brach- oder Ödland oft schütter
mit ein- und zweijährigen Pionierkräutern bewachsen.
Im Lauf der Zeit werden sie zunehmend von dichter stehenden, mehrjährigen
Stauden überwuchert. Bevor Wald aufkommt, steht auf solchem
"Unland" in der Regel ein Hochhaus oder eine Industriehalle.
Der ökologische Wert von Kulturbrachen ist erst seit kurzem
erkannt. Bisher beschwor man in der Nachbarschaft zu solcher "Wildnis"
gern die Angst vor Unkrautsamen oder es wurde fieberhaft überlegt,
wie man derartige Flächen gewinnbringender nutzen könnte.
Die neue Wertschätzung der Brachen folgt aus der Tatsache,
daß Räume, wo sich Natur spontan ansiedeln kann, selten
geworden sind. Dort wo Verbundpflaster, eingefaßte Rabatten
und Zierrasen nahtlos aneinandergrenzen, können weder Kinder
noch die Natur ihr buntes Spiel entfalten.
Selbst in Frankens freier Flur ist Brachland mittlerweile Mangelware.
Und das trotz Bauernsterben: immer weniger Großbauern nutzen
das Land immer intensiver. Auf der Flucht vor solch tödlicher
"Agrarindustrie" versuchen Pflanzen und Tiere in die
Dörfer und Städte einzudringen. Aber auch dort ist der
Platz knapp für sie. Die Versiegelung fränkischer Städte,
die wachsenden Wohnbau-, Industrie- und Verkehrsflächen haben
im Siedlungsraum ungenutztes Land auf oft unbedeutende Reste schrumpfen
lassen.
So hat sich Ödland, gerade an den Stadträndern, vielerorts
zu Reservaten entwickelt, wo Natur regelrecht "aufatmen"
kann. Hier darf sie sich in ureigenster Üppigkeit entwickeln
- zumindest auf Zeit. Dementsprechend reich an Arten können
brachgefallene Fluren sein. Über 400 Pflanzenarten besiedeln
in verschieden zusammengesetzten Gesellschaften die Flächen,
die dem Würgegriff menschlicher Nutzung entronnen sind. Auf
1000 Quadratmetern Ödland fanden Botaniker schon 180 verschiedene
Kräuterarten - gar nicht so öde!
Es ist, als wüßten die Pflanzen um die Vergänglichkeit
ihres Biotopes und entfalten in oft kürzester Zeit eine unwahrscheinliche
Blütenpracht. Im Hochsommer mischen sich das Blau des Natternkopfes,
die weißen Dolden der Schafgarbe und die aufrechten, reichblütigen
Königskerzen zu einem leuchtenden Farbencocktail.
Zu den einheimischen Pflanzen wie Brennessel, Schöllkraut
und Hundszunge gesellen sich häufig eingewanderte Kräuter
aus aller Welt. Dabei unterscheidet man zwischen Alt- und Neueinwanderern.
Die Alteinwanderer (Steinklee, Schwarznessel) kamen schon in vorchristlicher
Zeit mit den Kulturpflanzen über die asiatischen Handelswege
nach Mitteleuropa, die Neueinwanderer (Nachtkerze, Kanadische
Goldrute) erreichten nach 1500 mit Eisenbahn und Schiffsverkehr
vor allem aus Nordamerika ihre neuen Lebensräume. So kommt
es, daß gerade im Umfeld von Häfen und Bahnhöfen
besonders artenreiches Ödland liegt.
Von den 400 bekannten Ödlandpflanzen sind zehn Prozent gefährdet:
sie stehen in der "Roten Liste", einem von Fachleuten
ausgearbeiteten Sterbekatalog heimischer Arten. Nicht nur geschützte
Feucht- und Trockenbiotope haben mittlerweile Seltenheitswert
gewonnen, sondern selbst so anspruchslose Wildnis, wie sie sich
auf Brachland einstellt!
Der Mangel an Brachen wirkt sich direkt auf die Tierwelt aus.
Junges Ödland mit noch offenen Bodenstrukturen ist meist
reich an räuberischen Laufkäfern. Sein Blütenschatz
zieht Insekten aller Art an. Schmetterlinge, Käfer und Hautflügler
sind wiederum leichte Beute für Eidechsen, Fledermäuse
und insektenfressende Singvögel. Vor allem im Winter, wenn
die Nahrung knapp wird, verköstigen sich viele Standvögel
an den stehengebliebenen Halmen und darin verborgenen Insektenlarven.
Dieses ganze Netz von Leben zerreißt, wenn intensiver Landbau
betrieben oder eine Ödfläche versiegelt wird. Ein deutliches
Warnzeichen ist, daß selbst einstige Massenvögel wie
die Spatzen selten werden. Ihnen fehlen der Staub zum Baden und
die Samen der Wildpflanzen als Futter.
Manche Zeitgenossen meinen, wir bräuchten keine Wildnis zum
Leben; für viele ist ein ungepflegtes Stück Land oder
ein verwilderter Garten noch immer ein "Schandfleck",
Zeichen von Minderwertigkeit und mangelndem Ordnungssinn; Geschäftsleute
denken bei Brachland an Grundstücksspekulationen; der Glaube
ist weit verbreitet, daß Natur beherrscht, geordnet, verkauft
werden muß.
Psychologen haben im zwischenmenschlichen Bereich gefunden, daß
zu starker Machtanspruch eines Partners eine lebendige Beziehung
erschwert. Das gilt auch für unser Verhältnis zur Natur.
Wir bleiben innerlich unbefriedigt, solange wir unseren Kultivierungszwang
nicht zumindest zeitweise brachfallen lassen. Erst dann wird sich
auch unsere "innere" Natur spontaner und üppiger
entfalten. Brachen sind der rechte Ort, wo solche Anschauung gedeiht.
Lebensräume in Franken (8.Folge): Brach- oder
Ödland, Biotop auf Zeit