Ein Stimulans für unsere Sinne
Lebensräume in Franken (10. Folge): Blumenwiesen

Eigenartig ist es schon: trotz unermüdlicher Bekenntnisse von Politikern jeder Couleur zum Natur- und Umweltschutz gibt es farbenprächtige Blumenwiesen auch in unserer Region fast nur noch in Bildbänden und Kinderbüchern. Je ärmer die Landschaft "draußen" wird, umso glänzender wird ihre Darstellung auf Papier und Zelluloid.

Wer einen bunten Strauß mit Glockenblumen, Salbei, Storchschnabel oder Margeriten pflücken will, muß sich heutzutage schon auf die Suche machen; denn in der Nähe eine Wiese mit diesen Wildkräutern zu finden, ist nicht mehr selbverständlich.

Die Mehrzahl moderner Wirtschaftswiesen bietet ein monotones Bild. Mag im April und Mai noch die Massenblüte von Löwenzahn und Wiesenkerbel entzücken, so stellt sich im weiteren Jahreslauf die normgerechte Fettwiese im ärmlichen Kleid dar: dann schauen nur noch wenige Blütenköpfe recht verloren aus dem wüchsigen Gräsergrün hervor.

Um einen hohen Futterertrag zu erzielen, bringt der Landwirt auf seinen Wiesen viel Dünger aus. Oft ist er dazu genötigt, um den Mist seines Stallviehes überhaupt los zu werden. Die Düngung fördert einseitig den Wuchs von Süßgräsern und stickstoffhungrigen Kräutern wie Klee oder Löwenzahn. Andere Blumen werden durch deren übermächtige Konkurrenzkraft verdrängt. So kommt es, daß unbehandelte Wiesen wesentlich artenreicher sind als gut genährte Fettwiesen. Während Wirtschaftsgrünland selten mehr als 20 Pflanzenarten hervorbringt, setzt sich eine nicht oder nur schwach gedüngte Wiese aus bis zu 200 Arten zusammen!

Wiese ist folglich nicht gleich Wiese. Es gibt je nach Klima und Bodenverhältnisse zig verschiedene Ausprägungen von Grünland. Allen Typen ist jedoch gemeinsam, daß keine Gehölze darauf stocken, der Grasanteil hoch ist und der Mensch seine Hände im Spiel hat. Abgesehen von extrem nassen, trockenen und nährstoffarmen Standorten wie Steppe und Moor, wo keine Bäume wachsen können, sind Wiesen prinzipiell keine "natürlichen" Biotope, sondern menschengemachte (wie übrigens fast alle mitteleuropäischen Biotope). Die Zeit der Wiesen begann, als der homo sapiens seßhaft wurde, den Urwald Mitteleuropas rodete und durch Landbau und Viehweide offen hielt.

Heute beträgt der Flächenanteil der Wiesen in der BRD knapp 10%, 1950 waren es noch 15%. Die Minderung in den letzten 40 Jahren wurde hauptsächlich durch Aufforstungen und Umwandlung in Äcker verursacht. Das verbleibende Zehntel droht infolge flächendeckender Überdüngung gänzlich zu einem armseligen Einheitsgrün von der Küste bis in die Alpen zu verkommen.

Neben der Düngung spielt der Rhythmus der Mahd für den Biotopwert einer Wiese die maßgebliche Rolle. Wird häufiger als zweimal im Jahr gemäht, haben die meisten Kräuter nicht genügend Zeit, reife Samen auszubilden, sich zu vermehren und zu verbreiten. Blumenwiesen gedeihen daher in ihren prächtigsten Aspekten, wenn auf ungedüngtem Boden nur einmal im Spätsommer (am besten zu Michaeli, Ende September) gemäht wird. Mahd aber muß sein, sonst verwandeln sich Wiesen mit der Zeit über Buschland in Wald (was allerdings 100 Jahre dauert).

Wer Ohren hat, der höre: von Blumenwiesen geht wahrlich Musik aus. Da summt, zirpt und zwitschert es in vielstimmiger Symphonie. Biologen zählen etwa 3500 Tierarten - darunter Insekten, Vögel und Kleinsäuger - zu Dauerbewohnern von Wiesen. Das zeitgemäße Wirtschaftsgrünland ist dagegen vergleichsweise stumm. Die wenigen Pflanzenarten, die dort gedeihen, können auch nur wenigen Tierarten Heim und Nahrung bieten.

Das Verschwinden blumenreicher Wiesen und ihrer Farben, Formen, Lieder und Düfte steht zugleich für den Verlust menschlicher Sinnlichkeit im schnellen Wandel unserer Zeit. Es bliebe noch genauer zu untersuchen, wie sehr der tägliche Umgang mit Maschinen unsere Sinne abgestumpft, wie sehr er unsere Erlebnisfähigkeit gemindert hat. Das Fernsehen jedenfalls, mit seiner nervösen Bilderwelt, gibt uns das wirkliche Naturerlebnis nicht wieder.

Schon eher wird da eigene Initiative helfen. Private Rasenflächen, die oft nicht mehr als grüne Ausläufer der Wohnzimmerteppiche sind, können mühelos in farbenfrohe Blumenwiesen verwandelt werden. Vor allem in wenig genutzten Gartenbereichen kann man getrost auf Düngung verzichten und nur noch einmal im Jahr mähen. Das spart Zeit, Energie und Geld. Und zum nächsten Blumenstrauß sind es dann nur noch ein paar Schritte.