Naturerbe Bamberg
Die Eigenart, Vielfalt und Schönheit der Bamberger Stadtlandschaft
rührt ursprünglich daher, daß hier zwei sehr unterschiedliche
Formationen des Erdmittelalters (220-65 Mill. Jahre) aufeinandertreffen:
im Westen der Sandsteinkeuper und im Osten das Jura. Über
lange Zeiträume haben Regnitz und Main, die vor drei Millionen
Jahren noch zur Donau flossen, das mittelfränkische Becken
in dieses Grenzland aus Sand und Kalk modelliert.
Der während der Eiszeiten abgetragene Sand, in den Spuren
verwitterten Jurakalkes gemischt sind, bedeckt weite Teile des
Bamberger Beckens. Er prägt in Form weitläufiger Bänke
die Ufer der Regnitz (Sandkirchweih!) und bildet im Osten,
vom Westwind über Jahrtausende zu Dünen verweht, die
Grundlage des Hauptsmoorwaldes.
Sonne, Wind und Wasser, eine sich beständig entwickelnde
Lebenswelt und die Zeit haben eine Landschaft geschaffen, die
durchaus Züge von Individualität trägt, einer Einzigartigkeit,
auf die sich der Begriff Heimat unbedingt beziehen muß,
soll er überhaupt Sinn machen.
Das Wissen um die einmalige Geschichte einer Landschaft macht
Typisierungen obsolet. Ein Sandmagerrasen in der Lüneburger
Heide oder im Lechtal hat völlig andere Qualitäten als
jene Rasen auf den Schwemmsanden und Flugsanddünen im Bamberger
Osten. Nicht umsonst gilt die Kiefer des Hauptsmoorwaldes als
Spezialität - es liegt an der besonderen Eigenart ihres Untergrundes,
daß sie astarm wächst, sich kaum verzieht und daher
für die Flügel holländischer Windmühlen das
Holz abgeben konnte. Wirkliche Ersetzbarkeit von Lebensräumen,
wie sie im modernen Naturschutz oft suggeriert wird, gibt es gar
nicht. Jede Landschaft ist einmalig.
Blickt man heute von höchster Stelle (Altenburg: 385m) auf
die Stadt, ist es nicht schwer, jene urzeitliche, von Wildflüssen
und Wäldern geprägte Landschaft, die erst vor 1400 Jahren
besiedelt wurde, durch die Gestalt der Moderne hindurchzuahnen:
die völlig mit Eichenwald bestockten Hügel des Westens
(das heutige Berggebiet), die als letzte Ausläufer des Steigerwaldes
in das Regnitztal greifen und auf denen heute die berühmten
Bamberger Kirchen thronen; zwischen ihnen schmale, einstmals gleichermaßen
bewaldete Kerbtälchen, von der Erosion eingetieft, die inzwischen
z.T. stark bebaut (Panzerleite), z.T. noch einigermaßen
frei (Ottobrunnen) sind; im Talraum dann, wo die Regnitz in zwei
Arme kanalisiert und das hochwasserbefreite Land gänzlich
"kultiviert" ist, stand ein Auwald aus Weiden, Erlen,
Eschen und Ulmen, durchzogen von reich verzweigten, mäandrierenden
Flußstrecken mit sandigen Ufern und Inseln; im Osten schließlich,
hinter dem heutigen Bahnhof, mischten sich Kiefern und Birken
in den Urwald, in dem Maß, wie das Land durch die Dünung
trockener wurde; auch jetzt noch kann man von der Altenburg aus
gut beobachten, wie unter all dem bebauten Terrain das Land gen
Osten ansteigt, um sich dann zu Dünen zu wölben, auf
denen der Hauptsmoor stockt - heute freilich artenärmer und
statt von Sümpfen und Weihern von Autobahnen und Kreisstraßen
durchzogen.
In diese von Wald und Fluß geformte Wildlandschaft, die
bei den Vorsiedlern gewiß nicht nur heimatliche, sondern
oft auch bedrohliche Züge getragen haben wird, hat sich in
den letzten 1400 Jahren die abendländische Kultur mit ihren
Kirchen, Häusern, Straßen, Äckern und Gärten
enfaltet. Über mehr als tausend Jahre war die Stadt langsam
und notgedrungen naturschonend gewachsen, seit wenigen Jahrzehnten
aber hat sich ihr Gesicht mithilfe der Technik in einer Geschwindigkeit
gewandelt, die zweifeln läßt, ob ein auferstandener
Zeitgenosse des 19.Jhd. sie wiedererkennen würde. Der Preis
dieses Wachstums war Verlust von Heimat, von traditionellem Gewerbe
wie dem Häckertum, aber auch von Vielfalt und Dynamik der
Natur. Aus dem Kulturwandel ist eine Kulturbruch geworden,
welche innerhalb von Jahrzehnten die über Jahrhunderte konstante
Lebensform fundamental geändert hat.
Wie überall hat auch in Bamberg erst die Zerstörung
der Natur en gros zum expliziten Nachdenken über ihren
Erhalt geführt. Anfang der 80er Jahre begann man mit der
systematischen Erfassung von Stadtnatur (Floristische Biotopkartierung
1981). Vorher gab es nur vereinzelte Bemühungen um Naturschutz
wie die Ausweisung von Naturreservaten im Hain, um die Altenburg
und im Hauptsmoorwald, oder die Ernennung von alten Bäumen
zu Naturdenkmälern (Buger Linden). Dabei hatte man eher das
Landschaftsbild und den Schutz vor Bebauung im Sinn als den Erhalt
von Lebensräumen für Pflanzen und Tiere.
Erst mit der zweiten Biotopkartierung 1989 rückten die Artenbestände
in den Mittelpunkt. Neben den Blütenpflanzen wurden auch
die Tiergruppen Fledermäuse, Vögel, Kriechtiere, Lurche,
Libellen, Käfer und Tagfalter erfaßt. Man ordnete sie
191 Biotopen zu, die eine Fläche von 10,7% des Stadtgebietes
einnahmen. Als artenreichste Gebiete erwiesen sich dabei die Mainauen
bei Bischberg, die Buger Wiesen, der Hain, der
Flugplatz Kramersfeld und die Umgebung der Altenburg.
Allein bei den Brutvögeln konnten 115 Arten verzeichnet werden,
u.a. das seltene Tüpfelsumpfhuhn und der Pirol. Neben den
Vögeln fanden Biologen im Stadtgebiet 13 Lurcharten (darunter
Einzelfunde des Feuersalamanders im Michaelsberger Wald), fünf
Reptilienarten (wobei es sich bei der Sumpfschildkröte und
der Rotwangenschildkröte um ausgesetzte Exemplare handelt),
neun Fledermausarten (mit Schwerpunkt in Hain, Leinrittwald und
Bug), 55 Tagfalterarten (hauptsächlich am Südhang der
Altenburg und auf lichten Waldwegen) und 29 Libellenarten. Das
Berggebiet erwies sich dabei als Stadtlandschaft mit höchster
Biotopdichte. Dort wurden 30% aller Bamberger Biotope auf etwa
1/7 der Stadtfläche erfaßt. Nicht zuletzt deshalb empfahl
ein Gutachten zum Landschaftsplan diese geglückte Verzahnung
altehrwürdiger Kultur, lockerer Bebauung und Natur als Gesamtheit
unter Landschaftsschutz zu stellen ("Mosaiklandschaft").
Wennauch die Momentaufnahme der städtischen Lebenswelt auf
den ersten Blick beeindruckend erscheint, so sagt sie doch wenig
aus über ihre längerfristige Entwicklung, dh. über
ihre Qualitäten der Beständigkeit und der Vielfalt,
die erst etwas wie Heimatgefühl hervorbringen können.
Frühere Kartierarbeiten wurden nur sporadisch, unsystematisch
und vereinzelt durchgeführt. Umso wertvoller sind sie für
den zeitgenössischen Naturschutz. Das gilt insbesondere für
die Veröffentlichungen der Naturforschenden Gesellschaft,
die erst eine gewisse Bilanzierung zulassen. So läßt
sich aus einer Arbeit von Dr. Ries aus dem Jahr 1915 entnehmen,
daß seit damals Arten wie Wiedehopf, Steinkauz, Rotmilan
und Schwarzmilan aus dem Stadtgebiet verschwunden sind. Das überrascht
nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Hauptsmoorwald
zu jener Zeit noch bis an den Bahnhof reichte, zu Kriegszeiten
jeder Quadratmeter für die Landwirtschaft genutzt wurde und
der Straßen- und Häuserbau seitdem exorbitante Züge
angenommen hat. In den letzten Jahren betrug der jährliche
Biotopverlust zwölf Hektar (Gesamtbiotopfläche 1989:
580ha). Der Börstig, einstmals Eldorado fränkischer
Botaniker, ist nahezu vollständig bebaut.
Dieser vehemente Verlust an Lebenswelten, an ganzen Landschaften,
ist natürlich auch ein Verlust an Heimat. Wo sich Städte
mehr und mehr zu ähneln beginnen, das öffentliche Leben
in die Hände der Kaufleute und Geschäftemacher fällt,
der Kontakt zur Scholle abreißt, Ausflüge in die Ferne
attraktiv werden und die mediale Vernetzung wächst, ist es
enorm schwierig, dem Begriff Heimat noch Sinn abzugewinnen. Der
moderne Zeitgenosse weiß eher, wo es das billigste Schweineschnitzel
in der Stadt gibt als den nächsten Standort von Beinwell
und Schafgarbe. Und Jugendliche kennen im Schnitt zwar 19 Automarken,
aber nur sieben Pflanzenarten. Ihre Heimat sind TV und Internet,
nicht Bach und Hecken in der Gärtnerflur. Es wäre sentimental
und fatal, den Bruch der Gegenwart zu leugnen. Noch nie wurde
Heimat in so kurzer Zeit so verändert (um nicht zu sagen:
zerstört) wie heute, und noch nie wußte man so wenig
darüber. Das gilt natürlich auch für Bamberg.
Aber vielleicht ist die Flucht in die Ferne, in andere Länder,
in die Medien, in Konsumträume nur ein vorübergehendes
Kapitel, und dann hätte es Sinn, den Heimatgedanken oder
modern ausgedrückt: die Besinnung auf das Regionale
aufrecht zu erhalten. Die Lebensmittelskandale um BSE und Schweinepest
lassen ahnen, daß diese Hoffnung berechtigt ist und überschaubare,
beständige Strukturen einen Überlebensvorteil haben.
Es gilt sich, darauf vorzubereiten: durch regionale Vermarktungsstrategien
genauso wie durch das Wecken von Interesse für Natur und
Landschaft vor Ort. Bildungsarbeit, Bewußtseinsarbeit ist
das Gebot der Stunde. Sie kann durch Naturschutzverbände,
Umweltämter, Naturforschende Gesellschaften, Heimatvereine
ebenso geleistet werden wie durch Medien und Schulen. Auf allen
gesellschaftlichen Fronten ist eine Rückbesinnung auf die
Natur, auf das Nahe vonnöten, auch eine Weiterentwicklung
unserer Moral und unserer Gesetze auf mehr Ehrfurcht vor und Schutz
von Natur hin, nicht nur weil sie uns nützt, sondern weil
sie kraft ihrer Existenz (schon lange vor uns) Eigenwert besitzt.
In diesem Kontext soll nicht versäumt werden, auf eine Attraktion
hinzuweisen, die seit 1993 jedem Besucher offensteht. In landschaftlich
reizvoller Umgebung hat die Stadt Bamberg einen Natur-Lehrpfad
durch die schönsten Biotope der Stadt eingerichtet. Er führt
vom Michaelsberg zur Altenburg hinauf und weist an zwölf
Stationen auf ökologische Zusammenhänge und Wissenswertes
über die Natur vor Ort hin. Von ihm aus lassen sich herrliche
Ausblicke auf die Altstadt genießen, die zeigen, wie sehr
es sich lohnt dieses innige, gelungene Miteinander von Landschaft
und Kultur zu bewahren, nicht nur als Erbe, sondern auch als Vision
für die Gesamtstadt.
Zur Entwicklung der Bamberger Naturlandschaft