Wo Natur aufatmen darf
Stadt stellt Biotopentwicklungsflächen als Kompensation für Natureingriffe bereit

Auf dem Brachland am Sendelbach läßt sich in den Abendstunden eine Schar Graureiher nieder, in der feuchten Senke nördlich des Aufseßhöfleins treibt der Blutweiderich purpurrot in dichten Beständen aus; dort brütet im Frühjahr ein Kiebitzpaar. Am Michaelsberger Wald turnen in den Zweigen der noch jungen Obstbäume eben flügge gewordene Singvögel- alles Naturphänomene, die an diesen Orten erst möglich geworden sind durch eine neue Strategie des Naturschutzes hier und in anderen Städten Bayerns. Neben dem traditionellen Instrumentarium der Ausweisung von Schutzgebieten ist der städtische Naturschutz dazu übergegangen, nicht nur bereits bestehende Biotope zu sichern, sondern wirklich neue Räume für das freie Spiel der Naturkräfte zu öffnen: "Biotopentwicklungsfläche" ist der etwas sperrige Name für dieses noch junge Kind des Naturschutzes. Sind früher Biotope mehr oder weniger absichtslos entstanden, weil sich niemand um das Land kümmerte oder als Nebenwirkung "primitiver" Landwirtschaft, wird jetzt bewußt die Nutzung eingestellt, um einem gewissen Maß an Wildnis wieder Entwicklungsraum zu geben. Aus artenarmen Äckern werden so innerhalb weniger Jahre artenreiche Brachen. Wie die Dynamik der Entwicklung im Detail vor sich geht, wird dem freien Spiel natürlicher Kräfte überlassen. In einer Kultur, in der ständig geformt, geregelt, kanalisiert, begrenzt wird, soll beim Naturschutz - wie leider allzuoft getan - auf keinen Fall auch noch die Natur und ihre Entwicklung bis ins letzte Kraut und zur letzten Kröte verplant werden. Es werden höchstens, wie in der Südflur geschehen, zur Stimulation natürlicher Entwicklung in einigen Bereichen Hecken gepflanzt oder Obstwiesen angelegt. Das ist bisweilen notwendig, da über Jahrzehnte intensiv genutzte Böden weiterhin erst einmal nur Monokulturen hervorbringen: Disteln, Gräser und nicht viel mehr.

Hinter der Schaffung von neuem Freiraum für städtische Natur steht nicht so sehr das Bedürfnis nach Romantik und Abenteuergefühl, sondern die nüchterne Erkenntnis der modernen Ökologie, daß Natur in der Stadt Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung ist. Gerade in diesen heißen Tagen kann jeder spüren, wie effektiv Bäume als natürliche Klimaanlage arbeiten. Sie verdunsten Feuchte und kühlen ihre Umgebung nicht nur durch den Schattenwurf, sondern eben auch durch die Erzeugung von Verdunstungskälte.

Städtisches Grün lindert so die trockene Hitze versiegelter Flächen und Staubemissionen beträchtlich. Es produziert Sauerstoff und bindet Kohlendioxid. Es schützt vor übermäßiger UV-Strahlung. Es sorgt für eine Reinigung des Niederschlagswassers und die Wiederauffüllung von Grundwasser. Und es ist nicht zuletzt wohltuende Augen"weide" inmitten betonierter Räume. Gerade Biotopentwicklungsflächen, die keiner Nutzung unterliegen und auch keinen gestalterischen Eingriffen, vermitteln die entlastende Botschaft, daß landschaftliche Schönheit und saubere Ressourcen (Boden, Wasser, Luft) auch "von allein" entstehen: Natur arbeitet für uns. Wir müssen sie nicht erst niederkämpfen, um dann mit viel Aufwand an Arbeit, Geld und Energie Ersatznatur zu installieren.

Als Biotopentwicklungsflächen wurden in Bamberg in den vergangenen vier Jahren hauptsächlich große Äcker herangezogen, auf denen bislang intensiver Mais-, Raps- oder Getreideanbau betrieben wurde. Bekanntlich werden diese Felder stark gedüngt und mit Pestiziden behandelt, sodaß sich dort außer einigen resistenten Schädlingen keine wildlebenden Pflanzen und Tiere halten können. Nach der Nutzungsaufgabe dauert es ein paar Jahre bis sich der Boden erholt hat. Auch hier gibt es wie bei Gewässern eine Selbstreinigungskraft der Natur, die allerdings nicht überfordert werden darf.

Das Gros der Biotopentwicklungsflächen liegt in der Bamberger Südflur zu beiden Seiten des Sendelbaches (17ha) und in den Buger Wiesen (11ha). Andere befinden sich im Berggebiet, auf der Anhöhe des Alten Rothofes (1ha), und im Norden der Stadt, in und um das Gleisdreieck an der Coburger Straße (1ha). Ihre Bereitstellung wurde sicherlich dadurch begünstigt, daß sie zum Teil in Wasserschutzgebieten liegen. Denn die Zielrichtung von Wassergewinnung und Naturschutz ist dieselbe: eine möglichst umweltschonende Art von Nutzung oder besser noch - gar keine. Konsequenter Ressourcenschutz (Schutz von Boden, Wasser und Luft) - so hat sich gezeigt - ist der beste Arten- und Biotopschutz.

Nicht immer war es bei der Bereitstellung von Biotopentwicklungsflächen damit getan, einfach die bisherige Nutzung zu stoppen. Teilweise war der Boden durch jahrelange Düngung so nährstoffhaltig, daß zumindest die oberen dreißig Zentimeter abgeschoben werden mußten, um die erwünschte Vielfalt an Kräutern zu erhalten. Denn erstaunlicherweise wachsen gerade da die meisten Blumen, wo der Boden relativ nährstoffarm ist (z.B. auf Kalk oder Sand). Ökologisch sinnvoll war eine solche Aktion besonders dann, wenn der abgeschobene Oberboden unmittelbar für eine nahegelegene Baumaßnahme, wie z.B. die Erschließung des Wohngebietes an der Jahnstraße, verwendet werden konnte.

Ganz freiwillig erfolgte die Bereitstellung von Biotopentwicklungsflächen freilich nicht. Die Schaffung von Wohngebieten, Gewerbeflächen und der Ausbau der Infrastruktur kostet Bamberg im Jahr 10-12ha Natur. Nicht viel, gemessen an der Stadtfläche von 5455ha. Bedenkt man aber, daß die kartierte Biotopfläche im Jahr 1989 nur 583ha betrug, wird die Bilanz schon ernüchternder. Sowohl das Bayerische Naturschutzgesetz als auch der Bamberger Stadtrat mit seiner Entscheidung, mindestens 10% der Stadtfläche als Biotopbestand zu bewahren, drängen auf Kompensation der Natureingriffe. Mit der Freistellung von nunmehr 30ha Fläche des Stadtgebietes von jeglicher Nutzung seit 1990 hat sich ein neues Naturpotential gebildet, das die Biotopverluste zwar nicht rückgängig machen kann, aber ausgleichend auf die ökologische Gesamtbilanz wirkt und garantiert, daß wildlebende Pflanzen und Tiere neue Lebensräume in der Stadt besiedeln können.