Die Apotheke des kleinen Mannes
Fränkische Wildpflanzen (6): Ein
Porträt des Wildapfels und seiner Kulturformen
Kaum zu glauben: bis zu 1000 Tierarten und 18 000
Einzeltiere können an einem Apfelbaum leben! Am Boden unter
dem Kronenbereich zählten Biologen 8000 Insekten. Der Artenreichtum
weist auf die lange Geschichte des Apfels hin. Über Jahrtausende
hatten die Tiere Zeit, sich ihrem Wirt anzupassen.
Der sauer schmeckende Wild- oder Holzapfel (Malus
sylvestris, Rosengewächs), von dem alle Apfelsorten abstammen,
kommt bei uns nur noch zerstreut vor: in Feldgehölzen, an
Waldrändern und auf Lichtungen. Seine weißen Blüten
öffnen ich im Mai und markieren den Beginn des Vollfrühlings.
Bei vermeintlichen Holzapfelfunden in der Flur wird es sich meist
um verwilderte Apfelbäume (Malus domestica) handeln.
Denn die auskeimenden Kerne von Gartenäpfeln fallen mehr
und mehr in die Eigenschaften der Wildpflanze zurück. Es
besteht beim Apfel wie bei den meisten Kulturpflanzen ein natürlicher
Drang zur Wildheit, der allein durch menschlichen Züchterfleiß
gebändigt werden kann.
Die Zweige kultivierer Sorten haben anders als der echte Wildapfel meist keine Dornen und sind unterseits dicht filzig behaart. Ihre Früchte sind größer und wohlschmeckender. Der Holzapfel eignet sich aber durch seinen hohen Pektingehalt sehr gut für die Mischung mit anderen Früchten bei der Gelee-Zubereitung.
Als Wildobst wir der Apfel schon seit der Jungsteinzeit
genutzt, wie Funde von Kernen und vollständig erhaltenen,
aber verkohlten Äpfeln beweisen. Der Apfelbaum hat Tradition
in fast allen Kulturen. Von den Sumerern dürfte die Bibelgeschichte
der "Vertreibung aus dem Paradis" überliefert sein,
in der Eva und Adam von einer verbotenen Apfelfrucht essen. Die
Römer kannten bereits an die 30 verschiedenen Sorten. Sie
stellten Most und Apfelwein her.
Sprachforscher fanden, daß - im Gegensatz zur Kirsche oder zur Birne - der Wortstamm des Apfels auf das Germanische zurückgeht. Karl der Große ordnete den Anbau edler Apfelsorten per Gesetz an und ließ den Bauern beibringen, wie man dieses Obst veredelt. In einem Handbuch aus dem Jahr 1840 sind über 800 Handelssorten aufgeführt, heute gibt es noch 70 Apfelsorten auf dem Markt: dünnhäutige, kaum haltbare Äpfel, hormonbehandelt und schöngespritzt - aus Monokulturen in Italien, Südafrika und Argentinien. Aber der Wunsch nach Vielfalt und Geschmackqualität keimt bei den Verbrauchern neu auf und Widerstand wächst gegen die EG-Normierer und ihre Einheitspolitik.
Bis in dieses Jahrhundert war das Apfelgestell im Keller die Apotheke des kleinen Mannes. Der Apfel war Vitaminspender an Wintertagen und verbeugendes Heilmittel gegen die Mangelkrankeit Skorbut. Ebenso unentbehrlich war der Krug mit Most, erst frisch und süß, dann als Apfelwein getrunken, der aus dem Faß im Keller geholt wurde. Es ist mit modernen Analytikmethoden festgestellt worden, daß Apfelwein krebserregende Substanzen in geräucherten Speisen unschädlich macht. Ein Apfeltag einmal im Monat reinigt den Körper. Bei Erbrechen, Durchfall oder Verstopfung hilft die geriebene Frucht. Als Medizin ist der tägliche Apfel am gesündesten, wenn er nüchtern gegessen wird: morgens vor dem Frühstück oder abends vor dem Zubettgehen.
Wer Hochstämme alter Apfelsorten pflanzen will
- und solche sind ökologisch weit wertvoller als die modernen
Niedrigstämme -, der sollte beachten, daß Apfelbäume
selbststeril sind: sie können sich nicht selbst befruchten.
Es muß stets eine andere Sorte in der Nähe stehen.
Bienen und sonstige Insekten, die für die Bestäubung
sorgen, fliegen oft nicht sehr weit. Ein Apfelbaum kann daher
auf der Seite, die der Pollenspender-Sorte zugewandt ist, auffällig
mehr Früchte tragen. Von daher erweist sich der traditionelle
Anbau der Apferlbäume besonders sinnvoll: Auf Streuobstwiesen
alter Prägung sind Sortenmischung für eine reiche, dauerhafte
und umweltschonende Ernte.