Mayer vor Gericht.

Ich sitze auf einer Bank im Park. Manchmal ist ein Schild angebracht: Vorsicht, frisch gestrichen! Heute aber steht da: Soldaten sind Mörder.

Ein Trupp junger Männer und Frauen kommt. Sie tragen gelockte, graue Perücken, als wären sie Angehörige eines englischen Gerichts. Doch dort sind die Köpfe unter den Perücken oft kahl, weil die Richter nicht die jüngsten sind. Hier aber kommen lange Haare darunter hervor, und die Männlein sind von den Weiblein lediglich durch das Kinn zu unterscheiden, das die Damen wie glattrasiert tragen. Doch das ist ihre Natur.

Eine Frau mit grauer Perücke, aus der sich rote Haare provozierend hervordrängen, setzt sich neben mich auf die Bank.

„Angeklagter,“ sagt sie, „stehen sie auf!“

Ich denke, die Bank hätte doch Platz für sie und mich, also bleibe ich sitzen.

Da kommen zwei barfüßige Perückenträger, heben mich hoch und stellen mich vor einem jungen Mann ab, der zwischen Hals und Beinen einen Speckbauch trägt, wie ihn Leute seiner Altersklasse selten haben.“

„Wieso,“ frage ich, „wieso redete mich die junge Dame mit Angeklagter an? Und warum durfte ich nicht sitzen bleiben, wo doch genügend Platz war?“

„Weil Sie Angeklagter sind! Angeklagte haben aufzustehen, wenn der Richter kommt!“

„Ach, sie sind Richter?“

Er antwortet weder mit ja noch mit nein; wahrscheinlich, weil er weiß, daß er Richter ist, was jedermann  bekannt sein sollte.

„Sie sind angeklagt, Krieg geführt zu haben. Bekennen Sie sich schuldig?“

„Obergefreite führen keinen Krieg, sondern Befehle aus.“

Er tuschelt mit den Perückten, die ihn umstehen, und sagt: „Offensichtlich muß ich anders fragen: Leugnen Sie, während des Krieges Soldat gewesen zu sein?“

„Wie sollte ich? Man hat mich nicht gefragt, und auf einmal war ich Soldat.“

Jetzt schauen sich alle verständnislos an. Und der Wabbelbauch sagt: „So einfach  war das?“

„So einfach,“ sage ich.

„Sie waren Angehöriger der kämpfenden Truppe?“

„Ja, natürlich.“

Zu einer weiblichen Perückten sagt er: „Bezeichnend!“

Mich fragt er: „Sie leugnen also nicht, der kämpfenden Truppe angehört zu haben?“

„Ich hätte mich geschämt, wenn ich ein Etappenhengst gewesen wäre.“

„Was ist ein Etappenhengst?“ will eine Dame  wissen und schaut mich lüstern an.

Ich erläutere: „Der Etappenhengst führt Krieg in der Etappe! Also hinter der Front, wo es nicht gefährlich ist.“

„Und wieso Hengst?“

„Weil es zwischen beiden, dem normalen und dem Etappenhengst manchmal, nicht immer, Ähnlichkeiten im Hinblick auf gewisse Tätigkeiten gibt. Verstehen sie?“

Sie beantwortet meine Frage nicht.

Der Wabbelbauch fragt weiter: „Sie können bestätigen, daß die kämpfende Truppe die Hauptlast des Krieges getragen hat?“

Das bestätige ich. ohne zu zögern, merke aber sofort, daß ich ein Eigentor geschossen habe. Denn der Wabbelbauch sagt in einem Ton, als hätte er sichere Beweise wie Trümpfe in der Hand: „Dann  kann man also mit Recht behaupten, daß sie als Angehöriger der kämpfenden Truppe Krieg geführt haben?“

Er glaubt, mich festgenagelt zu haben. Aber so schnell lasse ich mich nicht fertigmachen. „Ich werde Ihnen erzählen, wie unsereiner Krieg geführt hat.“

„Nicht nötig.  Wir kennen die Entschuldigungen, die Sie vorbringen werden. Erst führen Sie Krieg.  Aber hinterher waren Sie unschuldig.“

„Sind wir auch!“

„Ach, Sie haben wohl nicht geschossen?“

Ich schaue ihn erstaunt an: „Natürlich habe ich geschossen. Ich war doch nicht bei der Heilsarmee und habe fromme Lieder gesungen.“

Die Perückten  schauen sich wieder an. Dann sagt der Wabbelbauch voller Entrüstung: „Er spricht das Ungeheuerliche aus, als rede er vom Kaffeekochen! Völlig verroht, der Kerl.“

„Darf ich mit dem Kaffeekochen fortfahren?“ frage ich.

Sie nicken wie Kriminalisten, die einen Gauner endlich dazu gebracht haben, auszupacken. r

 

Leseprobe / In Niederungen